Hamburg. Das Getöse des Verkehrs auf den Elbbrücken ist unüberhörbar. Lastkraftwagen brettern Am Zollhafen entlang. Hamburg mittenmang. Viergeschossige Schumacher-Bauten aus rotem Backstein schirmen einen Grünzug und die frühere Polizeikaserne an der Katenweide gegen Lärm ab – und ein bisschen auch gegen Alltagsärger.
Kinder in Hamburg: Nach Herzenslust toben im Tollhafen
In diesem Umfeld, einem sozialen Brennpunkt, befindet sich eine Oase inmitten der Veddel. In einer bunten Welt aus Sport, Spiel und Bewegungsangeboten finden Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil ein sicheres Zuhause. Ein Ort, an dem Toben Freude macht. Weil eine Idee dahintersteht. Und sportpädagogisches System.
Der Name der Initiative, die von der Hamburger Bürgerstiftung gefördert und von einer anonymen Spenderin von Anfang an mit jährlich rund 100.000 Euro unterstützt wird, ist Programm: Tollhafen. Am Zollhafen, so der Grundgedanke, darf getollt werden. 2009 ging das Projekt an den Start, in der von der Saga zweckmäßig und geschmackvoll umgebauten Polizeikaserne.
Ein verglaster Wintergarten dient als Foyer. Hinein in den außergewöhnlichen Kosmos des Tollhafens. Mit einem Programm, bei dem Lebensfreude, individuelle Entwicklung, Teamgeist und das Miteinander im Einklang stehen, wird Sozialarbeit dort sinnvoll betrieben, wo sie nötig ist.
In Wilhelmsburg und Rothenburgsort unterhält der Tollhafen Zweigstellen
Der Tollhafen funktioniert. Bevor wir weitere Blicke in das Innenleben dieser Initiative mit Beispielcharakter werfen, die in Wilhelmsburg sowie Rothenburgsort kleinere Zweigstellen unterhält, erscheint zur Begrüßung ein Mann mit blauem Trainingsanzug. Kinder, Jugendliche und Eltern auf der Veddel betrachten den engagierten Mittfünfziger mit Respekt. „Er ist die gute Seele des Tollhafens“, sagt man.
Ivo Hoin ist diplomierter Sportpädagoge, er kam über die Bundeswehr zum Studium nach Hamburg. Geburtsort: Ratingen. Das Ehepaar Hoin lebt in Groß Borstel. Vier Kinder, aktuell 18 bis 30 Jahre alt, trugen zum Verständnis für junge Menschen bei.
Draußen befindet sich seit 2015 ein Mobilplatz, der während der Sommermonate an den Wochenenden in eine originell bestückte Spielanlage verwandelt wird. Wer mag, wagt Bewegungsabenteuer. Der Bodenbelag wirkt wie ein riesiges Trampolin, soft, leicht federnd. Bis zur S-Bahn-Station Veddel und zum Auswanderermuseum der BallinStadt sind es ein paar Fußminuten.
Im kommenden Jahr wird der Tollhafen 15 Jahre alt
Etwa 4500 Menschen leben in dem pulsierenden Stadtquartier, in dem Anecken und Rumpeln zum Alltag gehören. Nicht nur wegen der Elbbrücken nebenan. Rund 1000 Menschen auf der Veddel sind zwischen null und 18 Jahren alt. Etwa 150 bis 200 von ihnen nutzen das offene Angebot sportlicher Jugendarbeit im Tollhafen. Die Philosophie: Hier werden keine Sportarten trainiert wie in einem klassischen Verein, hier wird selbst motivierte Bewegung gefördert.
„Ich brenne für das Spielen“, formuliert es Ivo Hoin bei einem Glas Matetee im Vorraum der Halle. „Das ist viel mehr als nur ein bisschen schwitzen.“ In dem verglasten, einladend gestalteten Wintergarten befinden sich Sitzbänke, eine Tischtennisplatte, ein Kickertisch, ein Wasserspender – und ein Globus.
Wer will, zeigt den anderen das Land, aus dem seine Eltern oder Großeltern einst nach Hamburg kamen. An den Wänden hängen bunt bemalte Plakate: Danksagungen von Kitas und Jugendgruppen zu kleinen Jubiläen. Immerhin wird der Tollhafen 2024 fünfzehn Jahre alt.
Kinder in Hamburg: Auch fürs Toben gelten Regeln
„Wir sehen, wie die Inflation Familien belastet und die Zuwanderung und Corona-Nachwirkungen die Schulen herausfordern. Gerade Kinder und Jugendliche, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen, brauchen Orte wie den Tollhafen“, sagt Rüdiger Ratsch-Heitmann, Geschäftsführer der Bürgerstiftung Hamburg. „Hier können sie unbeschwert Spaß haben, sich ausprobieren. Das fehlt derzeit an allen Ecken und Enden.“ Zustimmung kommt aus berufenem Mund: von Jugendlichen, die den Tollhafen regelmäßig erwartungsvoll entern.
Dass es klare Regeln gibt, ist jedem bewusst. Ohne Disziplin und Rücksichtnahme läuft kein gutes Spiel. Am Wochenende ist das Angebot besonders umfangreich. An diesem Sonnabend ist ab 15.30 Uhr Platz für Kinder bis zur Vorschule mit ihren Eltern, ab 17.15 Uhr für Kinder bis zur vierten Klasse in Elternbegleitung. Ab 20 Uhr ist die Spielhalle – intern „Bewegungsbaustelle“ – genannt, frei für junge Leute ab Klassenstufe fünf. Vormittags haben die Kita Uffelnsweg sowie die Evangelische Kita Veddel ein Heimspiel.
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Die Saga als Hausherr der Anlage hat ideale Bedingungen geschaffen. Zwar wird der Betrieb von der Bürgerstiftung finanziert, dennoch ist sparsames Wirtschaften Trumpf. Dem Sportpädagogen Ivo Hoin, quasi hauptberuflicher Kapitän des Tollhafens, stehen 15 Übungsleiterinnen und Trainer als bezahlte Aushilfen zur Seite. In den Tollhäfen Veddel, Wilhelmsburg und Rothenburgsort ist an zusammen rund 35 Stunden in der Woche etwas los – grundsätzlich betreut.
Kinder in Hamburg: Nach Herzenslust toben im Tollhafen
An diesem Sonnabendabend sind Daniel, Mohamed, Dogukan, Nayendi und Lamine als Erste zur Stelle. Die Jungen sind elf und zwölf Jahre alt und im Stadtteil verankert. Sie sprechen hervorragend Deutsch und steuern den Tollhafen teilweise seit vielen Jahren an. Lamines Mutter, die von allen nur Nafi genannt wird, ist die Kinderaktionshalle an der Katenweide seit mehr als neun Jahren vertraut. Dienstags und mittwochs betreut sie vor Ort Kitakinder. „Die Mädchen und Jungs können sich austoben“, sagt sie, „und lernen dabei Rücksichtnahme“.
Tatsächlich tobt in der ebenso fantasievoll wie liebevoll gestalteten Halle das junge Leben. Nayendi mag Basketball und Waveboards. Mohamed und Dogukan favorisieren Fußball. Daniel mag Spaßkämpfen. Die Regeln hängen neben den Umkleide- und Toilettenräumen an der Wand. Klar formuliert. Unübersehbar.
Die Halle ist eine kunterbunte Spielewelt. Dazu zählen jede Menge Matten, ein Sprungbrett, Schaukeln mit Netz, Rutschen, Trampoline, ein Fußballfeld, Basketballkörbe. Und so weiter. „Wir säen Samenkörner für Respekt in einem sozialen Brennpunkt“, bringt Ivo Hoin das Engagement auf den Punkt. „Ein Teil davon geht auf.“
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