Die Hamburger Seniorenresidenz hat viele innovative Angebote für ihre Bewohner – sie bringen Spaß und ermöglichen soziale Teilhabe.

Eigentlich sitzt Iris König im Rollstuhl, aber jetzt rast sie mit einem Hoverboard über eine Rennstrecke und überwindet ein Hindernis nach dem anderen. Auch wenn die Landschaft und die Herausforderungen, die sich ihr stellen, nur virtuell sind, trainiert die 66-Jährige, die an Multipler Sklerose erkrankt ist, ihren Körper und Geist im sogenannten ExerCube ganz real. Der Würfel funktioniert wie ein überlebensgroßes Videospiel, in dem der Nutzer – umgeben von drei Projektionswänden – zum Hauptcharakter wird und rasch exakte Bewegungen nachahmen muss, um Punkte zu sammeln. Seit 2021 stellt das Hospital zum Heiligen Geist, Hamburgs älteste Stiftung im Bereich der Altenpflege, seinen knapp 1200 Senioren den Cube als eines von diversen Digitalangeboten zur Verfügung.

Die Idee dazu kam Ole Behr, Leiter der Physiotherapie im Haus, auf einer Fitness-Messe in Köln, auf der das Gerät für Sportler vorgestellt wurde. Da sich der Exer­Cube, mit dem u. a. die Schweizer Olympia-Snowboarder trainieren, für jedes Spiel auf den Fitnessgrad, die Größe und den Bewegungsradius des aktuellen Spielers einstellt, sah er das Potenzial für die Senioren im Heilig-Geist-Hospital. Diese benutzen das neue Fitnessangebot seit der Anschaffung mit Begeisterung. Behr und sein Physiotherapie-Team sind fasziniert von den Effekten: „Man sieht, wie sich der körperliche und mentale Zustand wirklich bei allen verbessert, weil das auf eine spielerische Art passiert.“

Ein Bewohner bewegt sich in der virtuellen Welt des ExerCubes, ein Angebot der Physiotherapie im Hospital zum Heiligen Geist.
Ein Bewohner bewegt sich in der virtuellen Welt des ExerCubes, ein Angebot der Physiotherapie im Hospital zum Heiligen Geist. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Das Heilig-Geist-Hospital war die erste Senioreneinrichtung mit ExerCube weltweit. Nicht nur deswegen nimmt die Seniorenresidenz mit ihrem Digitalisierungskonzept für Senioren eine Vorreiterstellung in ihrer Branche ein.

Alle Seniorenwohnungen haben ein Smarthome

Zu dem hauseigenen Digitalisierungs-Programm zählt eine Reihe von Maßnahmen und Angeboten. So sind alle Seniorenwohnungen auf dem Gelände mit Smarthome ausgestattet, das Schwarze Brett ist ein digitales Kommunikations- und Informations­board, für die hochaltrigen Senioren werden interaktive Konzerte aufs Tablet gestreamt.

Michael Kröger, Vorstand der Stiftung, begründet die Entscheidung des Hauses für den innovativen Ansatz mit dem Ziel der sozialen Teilhabe: „Digitale Angebote sind wichtig für unsere Senioren, weil sie sonst am Leben, das immer digitaler wird, immer weniger teilnehmen.“ Der Projektmanager Nizar Müller ergänzt: „Wir wollen das Thema des gesunden Alterns besetzen. Digitalisierung gehört dazu. Viele Menschen haben alters- oder gesundheitsbedingte Einschränkungen. Diese Menschen vereinsamen viel schneller. Wir wollen Leute aus der Häuslichkeit herausziehen, sie sollen am Leben teilnehmen.“

Bis zu 80 Prozent der Senioren nehmen die digitalen Angebote an

Das Konzept geht auf: 75 bis 80 Prozent der auf dem Gelände lebenden Senioren nehmen die Angebote regelmäßig wahr – und profitieren auch für ihren Alltag. „Die Senioren sind konzentrierter, haben einen strukturierteren Alltag durch Trainingszeiten und Verabredungen mit anderen“, sagt Müller. Ein großer Faktor für den Erfolg sind das Thema Gemeinschaft und die Öffnung zum Stadtteil hin. So steht der ExerCube auch externen Besuchern zur Verfügung, die Senioren können auch mit einem Enkelkind zusammen den Würfel betreten und gemeinsam trainieren. Menschen aus der Nachbarschaft, Schulgruppen und ganze Sportvereine melden sich an, um parallel zu den Senioren ihre Fähigkeiten zu üben.

Auch das Digitalcafé, das seit September 2022 viermal in der Woche für mehrere Stunden angeboten wird, ist offen für Besucher aus Poppenbüttel und Hummelsbüttel. Rund zehn ehrenamtliche sogenannte Digitalmentoren – darunter Schüler der Stadtteilschule Poppenbüttel – sind hier abwechselnd im Einsatz, um den Senioren bei ihren Fragen rund um Smartphone, Tablet, PC und andere digitale Geräte zu helfen und praktische Hilfestellung zu leisten. Das Angebot tut not, denn die Berührungsängste der Generation 65plus in Sachen digitale Technik sind in Teilen sehr groß.

Nizar Müller, Annegret Jenkel, Michael Kröger und Vahan Balayan (v.l.) mit dem Caretable, das wie ein überdimensional großes Tablet funktioniert.
Nizar Müller, Annegret Jenkel, Michael Kröger und Vahan Balayan (v.l.) mit dem Caretable, das wie ein überdimensional großes Tablet funktioniert. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

So kommt es immer wieder vor, dass Handys und Tablets, die von der Familie geschenkt wurden, bei den Senioren in der Schublade verschwinden. Doch so groß die Befürchtungen sind, so groß ist auch der Aha-Effekt, wenn die Technik sich gar nicht als Buch mit sieben Siegeln erweist.

Kurze Kurse zu Themenschwerpunkten

„Im Digitalcafé können wir den Besuchern meist ganz schnell helfen, das Telefon oder die Smartwatch einzurichten und Messengerdienste oder Apps zu installieren, sodass sie dann Fotos von ihren Kindern oder Enkeln empfangen können. Damit können wir den Menschen immer ein Lächeln ins Gesicht zaubern“, sagt Müller.

Als besonders hilfreich haben sich auch Erzählzeiten erwiesen – kurze Kurse zu bestimmten Themenschwerpunkten, die die Senioren in die praktische Anwendung bringen, egal, ob es um den Umgang mit Apps, das Schießen und Versenden von Fotos, die Teilnahme an Videokonferenzen oder die Onlinebuchung einer Reise geht. Seit Anfang des Jahres sind sogar mobile Digitalmentoren-Teams unterwegs und besuchen die Senioren bei Bedarf zu Hause.

Mit der Memorebox vor dem Fernseher tanzen

In gemeinschaftliche Aktivität kommen die Senioren auch durch die Memorebox, von denen die Residenz drei Stück hat. Der schwarze Kasten kann grundsätzlich an jedes TV-Gerät angeschlossen werden und animiert die Nutzer über Videospiele zu Arm- und Körperbewegungen, z. B. um Kegel mit der Kugel zu treffen oder Briefe in die richtigen Postkästen zu werfen und vieles mehr. Die frühere Krippenerzieherin Beate Bender (72) nutzt die Memorebox dreimal in der Woche und verabredet sich mitunter mit bis zu sieben Leuten, um vor der Box nach Anleitung zu tanzen.

Noch mehr Möglichkeiten bietet die neueste Anschaffung – der Caretable, der einem überdimensionalen Tablet gleicht und Zugang zu verschiedenen Medien, Spielen, Lernprogrammen und aktivierenden Übungen bietet. Die Inhalte und Anwendungen wurden speziell für die ältere Zielgruppe entwickelt, die Bedienung erfolgt über einen Touchscreen. Das Gerät ist elektrisch höhenverstellbar, neig- und rollbar, sodass auch Bewohner mit Mobilitätseinschränkungen den Aktivitätstisch gut nutzen können.

Im Digitalcafé wird Bewohnerinnen wie Annegret Jenkel (78) der Umgang mit Computer und Internet erklärt.
Im Digitalcafé wird Bewohnerinnen wie Annegret Jenkel (78) der Umgang mit Computer und Internet erklärt. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Auch an diesem Tool kann einzeln oder in größeren Gruppen gespielt werden. Nizar Müller erläutert die Kriterien für die Auswahl der Geräte: „Wir versuchen immer den Mix zu finden: Hände- und Augenkombination, Bewegung und Muskulatur. Wichtig ist der Aspekt Spaß, denn das ist immer etwas Motivierendes, dann kommt man auch wieder.“

Grundschüler spielen regelmäßig mit Senioren virtuelle Spiele

Wiederholungstäter sind auch die Kinder der benachbarten Grundschule Hinsbleek, die regelmäßig mit Schülergruppen im Hospital zu Besuch ist, um gemeinsam mit den Senioren am Caretable oder der Memorebox zu spielen.

Gerade für die Gruppe älterer Menschen, die keine Enkel oder Familie – oder nur in weiter Entfernung lebende Verwandtschaft – haben, bedeuten diese Treffen pure Lebensfreude. Die ehemalige Krankenschwester Annegret Jenkel (78) ist eine der Residenz-Bewohnerinnen, die sich aktuell gerne am Caretable ausprobiert. Ihre Bilanz lautet ganz rational: „Das ist viel so vielseitig, verschiedene Themen werden abgedeckt. Es ist jetzt auch neu und man muss sich erst daran gewöhnen. Wahrscheinlich dauert es ein, zwei Jahre, wie es dann aussieht, weiß ich nicht. Ähnlich war es bei Memore, am Anfang war es toll, inzwischen ist es Routine geworden. Meine Nachbarin und ich, wir machen es aber immer noch gerne.“

Nizar Müller begreift die Erwartungshaltung, die bei den Senioren entstanden ist, als Bestätigung für das Digital-Konzept des Hospitals: „Ja, wir sind auch ein bisschen getrieben durch die Senioren“, sagt er lachend. „Das bringt Spaß. Es ist eine Anforderung an uns, der wir auch gerecht werden wollen.“

Mitmachen bei Eingeloggt! - eine Woche voller digitaler Möglichkeiten

Vom 20. bis 26. März gibt es für Menschen ab 50 Jahren, mit oder ohne Vorkenntnisse, die Gelegenheit, sich mit der digitalen Welt vertraut zu machen. Es gibt über ganz Hamburg verteilt Smartphone-Workshops, erklärt wird zudem, wie Videokonferenzen und Social-Media-Kanäle funktionieren. Es werden Roboter programmiert, Online-Games gespielt oder im ExerCube trainiert. Infos: www.eingeloggt.net

Podcast zum Thema Videospiele gegen Demenz: https://www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch/article231995155/Wie-Videospiele-im-Kampf-gegen-Demenz-helfen.html