Astrid Freisen hat eine Bipolare Störung. In ihrem Buch beschreibt sie, was ihr geholfen hat und welche Behandlungen es gibt.

Sie sind mitten unter uns, oft unbemerkt, doch manchmal fallen sie auf durch abweichendes Verhalten. Und manchmal müssen sie sich längere Zeit krankschreiben lassen. Dr. med. Astrid Freisen gehört zu diesen Erkrankten, sie ist schwerbehindert, hat eine Bipolare Störung und Multiple Sklerose. „Wir fliegen hoch, wir fallen tief“, bekennt sie in ihrem gleichnamigen Buch. Das Besondere an ihrer Geschichte ist, dass sie als Psychiaterin arbeitet, und vor allem, dass sie sich als chronisch psychisch krank geoutet hat. Sie wünscht sich, dass schon Kinder und Jugendliche mit ähnlichen Stimmungsschwankungen wie ihren sich trauen, darüber zu sprechen, damit sie frühzeitig Hilfe bekommen können.

Bei Astrid Freisen hat es lange gedauert, bis die Diagnose klar war. Die perfektionistische Einserschülerin und Medizinstudentin will alles richtig machen und keinesfalls unangenehm auffallen. Sie nimmt lange nicht wahr, dass ihre psychische Erkrankung dauerhaft und konsequent behandelt werden muss. Damit liefert sie sich der Krankheit aus und zerstört fast selbst ihr Leben. Dank ihres medizinischen Wissens, der Unterstützung kompetenter Fachkräfte, verständnisvoller Angehöriger und Arbeitgeber schafft sie es, schließlich zurückzufinden in einen funktionierenden beruflichen und privaten Alltag.

Von ausgeflippt bis tief depressiv

Sie hilft anderen Betroffenen als Ärztin und hält Vorträge über die Problematik, als Mensch mit einer psychischen Erkrankung auch beruflich anerkannt zu werden. Denn sie habe Glück gehabt, dass ihr geholfen wurde und sie selbst viel dazu beitragen konnte. Anderen gehe es da deutlich schlechter: „Sie haben so viel verbrannte Erde hinterlassen, dass sie für ihre Arbeitgeber und Kollegen nicht mehr tragbar sind.“

Die Auswirkungen ihrer Bipolaren Störung offenbart die Autorin schonungslos. Sie beschreibt extreme Situationen: ausgeflippt feiern, Beziehungen aufs Spiel setzen ebenso wie tief depressive Phasen ohne irgendeinen Antrieb. Als Leser lernt man einiges über psychische Störungen, z. B. dass ein depressiver Mensch nicht „traurig“ ist, denn Traurigkeit habe einen Grund, eine Depression komme ohne erkennbaren Anlass.

Frühwarnzeichen, Stigma und Erkrankungen

Freisen fügt in ihre Geschichte wissenswertes Hintergrundwissen in Extra-Texten ein, unter anderem über Frühwarnzeichen, die Rolle von Angehörigen, Hilfe suchen, Stigma oder Erkrankungen, die mit einer Bipolaren Störung oft einhergehen.

Und sie zeigt auf, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, was ihr persönlich hilft. Das ist in dieser auch unterhaltsam geschriebenen Autobiografie vielleicht am wichtigsten: dass es Hilfe geben kann. Leider muss hier „kann“ stehen, denn das Gesundheitssystem bietet lange nicht jedem Betroffenen ausreichende Unterstützung – es fehlen Ärzte und Therapieplätze, bestimmte Medikamentenkosten werden nicht ohne Weiteres von den Krankenkassen übernommen. Und psychisch Erkrankte würden wegen des Kostendrucks häufig zu früh aus stationären Behandlungen entlassen, obwohl sie nicht stabil seien, schreibt Freisen.

Bewunderung für die Autorin

Man fühlt beim Lesen mit und ist auch schockiert, wie schlimm es Menschen gehen kann, die unwillentlich austicken, sinnlose Verträge abschließen, ihre Lebensgrundlagen aufs Spiel setzen. Doch am Ende bleibt auch Bewunderung für Astrid Freisens Mut, sich zu zeigen in ihrer Verletzlichkeit, für ihr Durchhaltevermögen und für die Disziplin, mit der sie immer wieder versucht, ihre Krankheit(en) im Griff zu behalten. Vor zwei Jahren ist sie sogar nach Island ausgewandert und arbeitet dort weiterhin als Ärztin.

Dr. med. Astrid Freisen: „Wir fliegen hoch, wir fallen tief“, Eden Books, 256 Seiten, 18,95 Euro.