Jugendliche aus der Stadtteilschule Öjendorf besuchen einmal wöchentlich Senioren im Kursana Domizil Billstedt.

Behutsam wischt Roksana Wojcicka die Haare aus der Stirn von Edith Redlich. „Jetzt kann es ein bisschen kühl auf der Haut werden“, kündigt die 14-jährige Schülerin an, legt die goldfarbene Pflegemaske auf das Gesicht der Seniorin und streicht sie sorgfältig aus. Die 89-jährige Bewohnerin im Kursana Domizil Billstedt genießt die sanften Berührungen der Schülerin sichtlich und entspannt sich immer mehr in ihrem Rollstuhl. „Das machst du sehr schön“, sagt sie leise und zaubert dem Teenager mit ihrem Lob ein Lächeln ins Gesicht.

Neben Roksana Wojcicka sind heute ein gutes Dutzend weitere Schülerinnen und Schüler aus der benachbarten Stadtteilschule Öjendorf nach einem Coronatest und der Einweisung in die geltenden Hygieneregeln in der Pflegeeinrichtung im Einsatz. In der neunten und zehnten Klasse steht bei den Jugendlichen immer freitags der „Praxis- und Studientag“ auf dem Stundenplan, an dem sie aus unterschiedlichen Angeboten zur Berufsorientierung wählen können: Neben einer Holzwerkstatt bietet die Schule beispielsweise Gruppen an, in denen eine Werbekampagne oder ein Umweltprojekt durchgeführt werden. Ein ganzes Jahr lang können die Schülerinnen und Schüler so verschiedene Arbeitsfelder kennenlernen und erproben, wo die eigenen Stärken liegen.

Einblick in Pflege und soziale Betreuung

Wer sich für einen sozialen Beruf interessiert, bekommt durch Lehrerin Senada Ramic die Möglichkeit, im Kursana Domizil Billstedt in Kleingruppen einen Einblick in die Pflege und soziale Betreuung von Seniorinnen und Senioren zu bekommen. Insgesamt fünf Schülerinnen sind am heutigen Vormittag bei der Wellness-Stunde dabei und verwöhnen mehrere Bewohnerinnen mit einer Pflegemaske, einem Fußbad und einer Massage. Zusammen mit Betreuungsfachkraft Manuela Schröder aus der Einrichtung und ihrer Lehrerin haben sie zum ersten Mal selbst ein Beschäftigungsangebot für die Seniorinnen geplant und umgesetzt. Dass ihr Verwöhnprogramm so gut ankommt, erfüllt die jungen Frauen mit Stolz.

„Das sind die Momente, in denen die Schülerinnen über sich hinauswachsen“, sagt Senada Ramic. „Sie machen die Erfahrung, dass sie mit ihren Fähigkeiten anderen Menschen etwas Gutes tun können, und bekommen für ihr Tun ein unmittelbares Feedback. Es ist schön zu erleben, dass sie durch solch positive Erfahrungen immer freier, eigenständiger und selbstbewusster werden.“ Nach einer coronabedingten Pause kooperiert die Lehrerin bereits zum wiederholten Mal für ihr Angebot „Lernen durch Engagement“ mit der Pflegeeinrichtung. Im gleichnamigen Seminar der BürgerStiftung Hamburg hat Senada Ramic bereits vor einigen Jahren das Werkzeug dafür bekommen, den ehrenamtlichen Einsatz ihrer Schüler professionell zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Seit 2009 Jahren unterstützt die Stiftung mit ihren kostenfreien Fortbildungen, Beratungen und Materialien Pädagogen dabei, Bildungsangebote an außerschulischen Orten anzubieten.

Jugendliche entwickeln Empathie und Tatkraft

Die Praxis zeigt, dass die Jugendlichen bei ihren Einsätzen in Kitas, Pflegeheimen und an weiteren Einsatzorten wirkungsvoll lernen können, auf Menschen zuzugehen, Empathie und Tatkraft zu entwickeln und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. „Ich finde es toll, dass wir hier so viele Erfahrungen machen dürfen und lernen können, mit der älteren Generation umzugehen“, sagt Alicia Larini. „Anfangs waren die meisten von uns noch ziemlich schüchtern und hatten besonders bei den demenziell erkrankten Bewohnern Angst, etwas falsch zu machen. Aber zum Glück dürfen wir hier viele Fragen stellen und mit Hilfestellung eigene Ideen entwickeln und ausprobieren“, sagt die 16-Jährige.

Dabei wird vor Ort nicht nur gemeinsam diskutiert, wie man die Ressourcen der Senioren mit interessanten Beschäftigungsangeboten erhalten und trainieren kann. Manchmal kommen auch Umgangsformen für ein respektvolles Miteinander von Jung und Alt zur Sprache. So wurde beispielsweise das Domizil für die Schüler zur handyfreien Zone erklärt. Außerdem gibt es die Absprachen, dass die Jugendlichen pünktlich zu den Treffen erscheinen und dass sie bei den Gesprächen im Haus auf Slang-Begriffe verzichten. Im intensiven Kontakt miteinander ist auch bei den Senioren das Verständnis für die heutige Jugend gewachsen.

Keine Slang-Worte und Handys

„Die jungen Leute sind sehr sympathisch und bringen so viel Freude ins Haus“, sagt Marie-Luise Hartmann (78), die an der Wellness-Stunde teilnimmt. „Mich stört es überhaupt nicht, wenn die Schüler hier zerrissene Jeans tragen, weil das heutzutage ja modern ist. Wir haben schon Tränen gelacht mit einem jungen Mann, der auch drinnen gern eine Mütze trägt oder sich unter seiner Kapuze verkriecht. Über diese Vorliebe macht er selbst mit uns eine Menge Scherze.“

Seniorin Edith Redlich erhält von den Schülerinnen Veronika Pahomova und Roksana Woicicka eine Fußpflege.
Seniorin Edith Redlich erhält von den Schülerinnen Veronika Pahomova und Roksana Woicicka eine Fußpflege. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia/Funke Foto Services

Besonders bei der Massage wird in der heutigen Stunde deutlich, wie engagiert und rücksichtsvoll die Schülerinnen im Kontakt mit den alten Menschen vorgehen: Sie beobachten bei Betreuungsfachkraft Manuela Schröder genau, durch welche Gesten die Seniorinnen Sicherheit gewinnen und wie der Igelball und andere Massagegeräte zum Einsatz kommen. Aufmerksam achten sie auf die Reaktionen der Bewohnerinnen und fragen nach, ob ihr Tun für sie angenehm ist.

Verständigung auch ohne Worte

Wenn die Teenager im Team arbeiten, klappt die Verständigung miteinander ohne Worte. Sie freuen sich über die Dankbarkeit der Bewohnerinnen und reflektieren anschließend gemeinsam in einer Auswertungsrunde ihre Erfahrungen. „Man konnte richtig fühlen, wie sich die Seniorinnen im Körperkontakt entspannt haben und immer mehr vertrauen konnten“, sagt Roksana Wojcicka und fügt nachdenklich hinzu. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass man bei der Arbeit in der Pflege eine so große Verantwortung trägt.“

Direktor Jörg Borgwardt freut sich darüber, wenn er durch die Kooperation mit der Schule Jugendlichen ein realistisches Bild des Pflegeberufes vermitteln kann. „Bei ihrem Praktikum können die Schüler erleben, dass Pflege Spaß und Erfüllung bedeutet. In der Öffentlichkeit ist leider immer noch viel zu wenig bekannt, wie anspruchsvoll und vielfältig der Beruf in Wirklichkeit ist“, sagt er. Bei Praktikantin Rüveyda Özel (15) ist durch den Einsatz im Domizil bereits die Entscheidung gefallen, sich nach dem Schulabschluss im kommenden Jahr in der Senioreneinrichtung um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. „Es macht mir viel Spaß zu helfen, und ich bekomme von den Bewohnern nur positive Rückmeldungen. Vor dem Praktikum war mir gar nicht klar, dass ich so gut mit Menschen umgehen kann“, sagt sie. „Mir gefällt, dass man sich in der Pflege hocharbeiten kann und gute Karrierechancen hat. Außerdem kann man jeden Tag mit seiner Arbeit Menschen glücklich machen. Bei welchen Jobs kann man das schon von sich behaupten?“

Weitere Infos zum Programm „[’You:sful] – Lernen durch Engagement“ auf der Webseite der BürgerStiftung: https://buergerstiftung-hamburg.de/projekte/yousful/home/