„Wir jungen Alten“ bietet Tipps und Gedanken über das Seniorendasein – geschrieben von einer 82-Jährigen.

Mit 60 Jahren gehöre ich schon zu den Seniorinnen – den jungen. Da wäre doch das Buch mit dem Titel „Wir jungen Alten“ von Hannelore Dierks genau das Richtige für mich, um mich auf diese Lebensphase als „Alte“ vorzubereiten. Doch ich scheue mich etwas, mich jetzt schon damit zu befassen, gebe dem Buch eine Chance und bin überrascht. Es geht darin ums Leben – zwar im Alter, aber das ist nicht weniger spannend als sonst auch. Da berät der hundertjährige Hinrich den gerade in Rente gehenden Bernd und macht ihm klar, dass „wir mehr sind als unsere Arbeit … vielleicht entdeckst du aber neue Fähigkeiten an dir, die jahrelang brachlagen“. Aus dem Müllwerker könne ein Schauspieler werden, aus dem Pastor ein Koch, aus der Ärztin eine Sängerin.

Insbesondere an Einschränkungen – körperliche und geistige – muss sich jeder alternde Mensch gewöhnen. Auch die Autorin lernt, sich gegenüber ihrer Familie zu positionieren. Zum Beispiel wenn ihr Sohn fragt, warum sie nicht wie die 80-jährige Nachbarin mit dem Fahrrad zum Einkaufen fährt. „Jüngere Menschen, auch unsere Kinder, nehmen oft nicht wahr, wie beschwerlich der Alltag im Leben alter Menschen sein kann und wie unterschiedlich die Kraftreserven sind“, sagt Dierks. Sie macht sich über alles Mögliche, mal ernst, mal humorvoll Gedanken: über die uralten Fragen nach dem Sinn des Lebens, den Tod, über das Verurteilen bestimmter Lebensweisen oder ob es sich noch „lohnt“, sich ein neues Möbelstück zu kaufen. Auch neue Freunde, Daseinsberechtigung, Umzug ins Pflegeheim und Stimmungstiefs sind Themen.

Erinnerungen an ihre Kindheit schreibt sie zwischendurch in Briefform an ihre früh verstorbene Schwester auf. „Was bleibt von all den Dingen, die einmal von Bedeutung waren, die ohne uns aber wertlos sind?“, fragt die fünffache Mutter, denn in der Wohlstandsgesellschaft wird noch gut erhaltener Nachlass häufig einfach entsorgt. Trotz Themen wie Krankheit und auch selbstbestimmtem Ende des Lebens ist das Buch voller Gedanken, die Hoffnung schenken.

Der Untertitel des Buches lautet „Von der Dynamik des Lebens“. Dieser begegnet die 82-Jährige z. B., indem sie im übertragenen Sinne ihr Navigationsgerät einschaltet. Wenn sie Hinweise überhöre, „weil ich es mal wieder besser weiß und nicht vertraue und in einer Sackgasse lande, ertönt die leise Stimme: ,Wenn möglich, bitte wenden!‘“ Dierks geht sorgfältig um mit der ihr geschenkten Zeit – das und viele weitere Einsichten und Anregungen, das Leben zu gestalten, ist schon weit jüngeren Menschen zu empfehlen als denen jenseits der Seniorengrenze.

„Wir jungen Alten“ von Hannelore Dierks, Patmos Verlag, 176 Seiten, 18 Euro