Depressionen, Angststörungen, Weltschmerz: Die Voodookinder erzählen auf der Bühne, was Jugendliche aus der Bahn werfen kann.

In satter Schwere liegen die Körper auf dem Bühnenboden. Doch dann finden sie zueinander, stützen und umarmen sich. Das Gefühl von Einsamkeit, das die Akteure vorher verbreitet haben, geht in eine andere Energie über. In etwas Hoffnungsvolles. Und gegen Ende, da sagt ein junger Mann, dass er dieses „bescheuerte Ding“ eines Tages einfach in eine Kiste packen möchte. „Es ist dann immer noch da, aber ich bestimme, was ich damit mache.“

Dieses Ding, von dem im Theaterstück „Black Box Blues“ im Thalia Theater in der Gaußstraße die Rede ist, kann viele Namen tragen: psychische Krankheit, Depression, Angststörung. Es kann sich aber auch um alltägliche Unsicherheiten handeln, um Leistungsdruck, Erschöpfung, Weltschmerz, Überforderung, um eine nagende Irritation. Und damit geht es auch schon mitten hinein ins Thema. Denn die Jugendlichen, die da als Schauspielgruppe Voodookinder auf der Bühne agieren, möchten von der gesamten Bandbreite erzählen, die einen Menschen aus der Bahn werfen kann. Niemand soll reduziert werden auf ein Merkmal, eine Diagnose, ein Ding.

Es geht um geistige Gesundheit

„Wir haben uns jetzt nicht an einen Tisch gesetzt unter dem Motto: Hand hoch, wer hat eine Depression?“, erzählt die 18-jährige Lucy Gerhard vom Beginn der Proben. „Es geht vielmehr um geistige Gesundheit.“ Auch Arthur Möhle (17) betont den offenen Ansatz des Theaterprojekts: „Es geht um die Frage: Wie gehe ich mit meiner Psyche um?“

Die beiden tragen bereits ihre Kostüme. So wie der Rest der Gruppe. Auf weißem Stoff sind in Schwarz grobe Striche gemalt. Sie bilden Muster, wirken verschlungen, könnten aber auch Wege darstellen. Eine Anspielung auf die Graphic Novel „Black Box Blues“ von Ambra Durante, die die Voodookinder nun spielerisch umsetzen. In dem Comic-Buch erzählt die damals 19 Jahre alte Autorin und Zeichnerin von innerer Dunkelheit, von Verzweiflung und Zuversicht.

Unterstützt vom Abendblatt-Verein

Im September 2021 hat die neunköpfige Gruppe mit den Proben begonnen – zunächst wöchentlich, kurz vor der Uraufführung vergangene Woche dann fast täglich. Das schweißt zusammen. Darsteller Lennard Bahlo (18) betont jedoch, dass da nicht eins zu eins die eigenen Probleme auf die Bühne gebracht werden: „Wir haben eine Distanz dazu.“ Zwischen eigener Betroffenheit und künstlerischem Ausdruck entsteht ein Raum, der neue Perspektiven zulässt. Der Freiheiten eröffnet. „Und darin steckt dann vielleicht ein Ansatz von Hilfe“, sagt Ariyaneh Nazarzadeh (19).

Zeigen Zusammenhalt: Die Voodookinder in ihrem Stück Black Box Blues am Thalia Theater in der Gaußstraße.
Zeigen Zusammenhalt: Die Voodookinder in ihrem Stück Black Box Blues am Thalia Theater in der Gaußstraße. © Fabian Hammerl | Fabian Hammerl

Unterstützt wird das Projekt von der Hamburger Stiftung Kulturglück, die auch den Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ als Spender an Bord geholt hat. „Ob Pandemie oder der Krieg in der Ukraine: Diese Zeiten fordern uns von außen heraus“, sagt Nicola Verstl, Vorständin der Stiftung Kulturglück.

Stiftung Kulturglück finanziert Theaterbesuche

Deshalb seien Institutionen, die Diskurse anstoßen, wichtiger denn je, um Diversität und Demokratieverständnis zu fördern. „Wir möchten diejenigen stärken, die nicht selbstverständlich Zugang zu kulturellem Austausch haben. Oder die es aus eigenem Antrieb nicht schaffen“, erläutert Nicola Verstl. Daher arbeitet die Stiftung Kulturglück eng zusammen mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Michael Schulte-Markwort und finanziert seit vielen Jahren den Theaterbesuch für junge Menschen, die psychisch erkrankt sind.

Künftig auch mit psychisch kranken Jugendlichen

Mit der neuen Thalia-Kooperation wird dieses Engagement nun inhaltlich erweitert. „Black Box Blues“ ist der Auftakt für eine insgesamt dreiteilige Reihe von Inszenierungen, die sich mit mentaler Gesundheit und Fragen des Erwachsenwerdens befassen. In der kommenden Saison kommen Jugendliche hinzu, die aufgrund einer psychischen Erkrankung in der von Schulte-Markwort geleiteten Oberberg Fachklinik Marzipanfabrik in Bahrenfeld behandelt werden. „In eine andere Rolle zu schlüpfen bietet Jugendlichen die Chance, sich zu trauen, sich zu zeigen und Applaus zu genießen“, sagt Prof. Schulte-Markwort .

Bei der Generalprobe, kurz vor der Premiere beim Thalia-Festival „Grenzgänge“, blicken die Jugendlichen auf die vergangenen Monate ihrer Theaterarbeit zurück – versammelt an einem wuchtigen Tisch im Probenraum an der Gaußstraße. Was auffällt: die große Nähe. Als seien sie alle durch eine feine Herzlichkeit verbunden. Sie gehen äußerst achtsam miteinander um, hören einander aufmerksam zu, reden sehr reflektiert über ihre Erfahrungen. Und sie lachen viel. Eine gute Atmosphäre. Aufgeschlossen und geborgen.

Vor drei Jahren wurde Jugendclub gegründet

„Die Proben sind ein richtiger Zufluchtsort. Die Zeit verschwindet und ich kann im Moment sein. Das ist ein essenzieller Beitrag in meinem Leben“, sagt Ariyaneh Nazarzadeh. Und Marilou Leonhardt (18) pflichtet ihr bei: „Ich mag jeden hier richtig gern. Und es ist toll, außerhalb des Alltags einer anderen Konstellation von Menschen zu begegnen.“

Vertrauensvoll angeleitet werden die Voodookinder von Schauspieler Steffen Siegmund, Ensemblemitglied am Thalia Theater, sowie von Dramaturgin Janka Kenk. Vor drei Jahren hat Siegmund diesen sehr besonderen Jugendclub gegründet, der immer wieder neue Mitglieder aufnimmt. „Die Jugendlichen liegen uns sehr am Herzen. Es ist toll zu sehen, wie sie sich persönlich und spielerisch entwickeln. Und wir lernen auch ganz viel von ihnen: wie sie miteinander spielen, wie sie mitdenken für das Stück und die Gruppe. Und was sie für kluge Fragen stellen“, sagt Siegmund, ein entspannter und zugleich energiegeladener Typ, der bei der Probe barfuß und in Shorts durch das Haus läuft und letzte Details bespricht.

Inszenierung trägt Hoffnung in sich

Als Collage aus düsteren und lichten, abgrundtiefen und leeren, zarten und euphorischen Momenten offenbart „Black Box Blues“ eindrücklich und bewegend, wie komplex die Kräfte in unserem Inneren wirken. Vor allem aber trägt die Inszenierung auch Hoffnung in sich. Zeichnen, singen, mit sich geduldig sein: Das Stück bietet Werkzeuge an, die hilfreich sein können. „Es geht zum einen darum, mit sich selbst klarzukommen. Zum anderen zeigen wir aber auch, wie Zusammenhalt entsteht“, erläutert Jascha Lena Volz (16).

Ihre Mitspielerin Gretha von Pressentin (18) verkörpert das Mädchen mit dem gestreiften Schal – eine introvertierte Außenseiterin, die sich mit ganz unterschiedlichen Empfindungen konfrontiert sieht. Dargestellt werden diese Zustände von der restlichen Gruppe. „Am Anfang war es gar nicht so einfach, dass wir keine konkreten Rollen spielen, sondern eher in die Gefühle reingehen“, erklärt Lavinia Mainholz (18). Doch mithilfe von Improvisationen haben sich die Voodookinder dem Stoff genähert. Ein Prozess. Schritt für Schritt. In „Black Box Blues“ wird das Mädchen mit dem gestreiften Schal schließlich immer wieder von der Gruppendynamik aufgefangen.

Starke Bilder, die bei den beiden Aufführungen von „Black Box Blues“ einen Tag nach der Generalprobe sehr gut ankommen. Mehrfach werden die Voodookinder direkt im Anschluss angefragt, ob sie das Stück an Hamburger Schulen spielen könnten – um zum Nachdenken und Mitfühlen anzuregen. Und um die Botschaft zu verbreiten, die Darsteller Mustafa Al Zubaidi (18) bereits zu Beginn des Stücks vermittelt: „Wenn das Monster kommt, ist es okay, sich helfen zu lassen.“