Chris Calm war Extremsportler, bis er durch einen Unfall gelähmt wurde. Heute ist er Youtuber, Fußballtrainerund macht anderen Mut

Die Kamera ist auf ihn gerichtet, während er ein Kleidungsstück nach dem anderen zusammenlegt. Vor allem mit den Handballen faltet er die Pullis und T-Shirts, denn die Finger sind spastisch gekrümmt, nur im linken Daumen hat Christopher Calm noch Kraft. „Oh, da ist jetzt eine Falte im Pullover, nicht ganz perfekt, aber ausreichend“, sagt Calm lächelnd zu seinem virtuellen Publikum, das ihm auf Instagram, Facebook oder seinem Youtube-Kanal „Chris Calm say Challenge Accepted“ folgt. Der 39-Jährige gibt anderen Querschnittsgelähmten, die wie er im Rollstuhl sitzen, über seine Social-Media-Channels regelmäßig Tipps im Haushalt und im Alltag, zeigt, wie er den Tisch deckt, Essen kocht, staubsaugt und eben auch die Wäsche zusammenlegt.

Wer den jungen Mann so aktiv hin- und her rollen sieht, während er eloquent redet, den Hund streichelt und den Kühlschrank öffnet, würde nie vermuten, dass er vor acht Jahren in einem Krankenhaus aus dem Koma aufwachte und nur seinen Kopf bewegen konnte. „Ich habe ansonsten kein Körperteil mehr gespürt. Das war das Schlimmste, was mir als Leistungssportler passieren konnte. Sport war mein Leben“, erzählt Calm in der neuesten Podcastfolge „Von Mensch zu Mensch“. Calms durchtrainierter Körper war bis dahin sein Kapital gewesen – er war Bademeister, Sportlehrer und Mitglied im deutschen Parkour-Team.

Autounfall auf glatter Straße

Waghalsige Sprünge, Tempo und Action, darum geht es dabei. Parkour ist eine Risikosportart, nur etwas für Menschen, die ihren Körper komplett beherrschen. So ein Mensch war Christopher Calm – vor dem Autounfall im April 2014. Er kam damals von einer Parkour-Show. Nur wenige Kilometer vor seinem Heimatort Wilster (bei Itzehoe) kam er in einer Kurve von der regennassen Straße ab und brach sich beim Sturz in den Graben den fünften Halswirbel.

Als er wieder aufwachte, befand Christopher Calm sich in einem anderen Leben. Es dauerte Tage, bis er seinen Zustand realisierte, die Trauerphase – das Klarkommen mit einem kälteanfälligen, gelähmten Körper dauerte rund drei Jahre, sagt er. Danach habe er gemerkt, „dass ich ein gutes und erfülltes Leben trotz der Lähmung führen kann“.

Podcast Von Mensch Zu Mensch mit Chris Calm unter www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch
Podcast Von Mensch Zu Mensch mit Chris Calm unter www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch © Hamburg | Podcast Von Mensch Zu Mensch

Geholfen habe ihm dabei seine Familie, die zu ihm steht. Seine größte Energiequelle war von Beginn an jedoch sein damals erst zwei Jahre alter Sohn. „Mir war immer klar, es geht nur noch nach vorne, das bin ich ihm schuldig.“

Das Körpergefühl kam zurück

Seine enorme Fitness half ihm, wieder beweglich zu werden. Gemeinsam mit den Physiotherapeuten trainierte Calm unermüdlich, macht auch heute wieder viel Sport. „Ich bekam immer mehr Körpergefühl zurück, die Arme kann ich inzwischen komplett bewegen. Die Handfunktion ist sehr eingeschränkt, aber ich habe meine Wege gefunden, damit umzugehen und so selbstständig wie möglich zu werden.“

Er war damals verheiratet, doch die Ehe scheiterte. „Das lag nicht am Unfall, es kriselte schon davor, wir konnten nichts mehr kitten.“ Calm spricht ungern über Negatives, aber er gibt zu: „Das war eine harte Zeit, als meine Frau und ich uns getrennt haben. Doch jetzt verstehen wir uns super, sind uns einig, was die Erziehung unseres Sohnes angeht.“ Nelio ist jede zweite Woche bei ihm. Er ist mit Calms Handicap groß geworden. Die beiden sind sehr innig miteinander. „Ich kann doch alles mit Papa machen. Im Kino bekommt er wegen des Rollis immer einen guten Platz und schwimmen gehen wir auch regelmäßig“, erzählt der Zehnjährige im ZDF-Film „Mut machen! Chris Calm“, der im Januar ausgestrahlt wurde.

Neue Partnerin und Patchwork-Familie

Calm mag und sucht die Öffentlichkeit, denn „Inklusion ist mein Ziel. Ich will den Menschen zeigen, dass wir Rollifahrer genauso ein Teil der Gesellschaft sind. Und Betroffenen möchte ich Mut machen, ihnen zeigen, was trotz der Einschränkung alles möglich ist.“ Zum Beispiel einen Sechspersonen-Haushalt zu schmeißen. Denn Chris Calm und Nelio bilden mit Nadine Schreiber und deren vier, fünf und acht Jahre alten Kindern eine Patchwork-Familie.

Der Youtuber hat die attraktive Arzthelferin vor drei Jahren über ein Datingportal kennengelernt. „Dort habe ich ganz offen über meine Situation kommuniziert. Das ist, glaube ich, das Wichtigste dabei.“ Je selbstständiger man sei, desto leichter sei es. „Der Partner darf möglichst nie einen Großteil der Pflege übernehmen. Das macht die Beziehung kaputt.“ Mit Chris führe sie ein völlig normales Leben, sagt auch seine Lebensgefährtin im Film.

Christopher Calm mit Hund und seinem Sohn Nelio (l.) sowie den Kindern seiner Lebensgefährtin.
Christopher Calm mit Hund und seinem Sohn Nelio (l.) sowie den Kindern seiner Lebensgefährtin. © Christopher Calm | Christopher Calm

Beruflich hat er sich weiterentwickelt. Calm arbeitet bei Alstercloud im Online-Marketing und berät eine Firma bei der Entwicklung von Elektro-Rollstühlen. „Die kann ich als Betroffener ja gut ausprobieren.“ Er trainiert zudem die Fußballmannschaft, bei der er früher gespielt hat. „Zuzuschauen, wie sie spielen, fällt mir immer noch schwer, aber ich möchte Teil dieses Teams bleiben. Ich bin jetzt sein Fitness- und Motivationscoach, das gefällt mir und gibt mir ein Stück meines alten Lebens zurück.“

Sein Verein ist Herzensprojekt

Sein Herzensprojekt ist jedoch der Verein Calmobility, den er vor zwei Jahren gegründet hat. Er bietet dort eine Begleitung vor allem für frisch verunfallte Querschnittsgelähmte an. „Ich berate Betroffene, was für Therapien und welche Therapeuten gut sind, wie man eine barrierefreie Wohnung findet, was einem an Hilfeleistungen zusteht“, erzählt der Rollstuhl-Aktivist. In den vergangenen acht Jahren konnte er ein großes Netzwerk aufbauen, das er gerne mit Menschen in ähnlicher Situation teilt.

Calm wirkt unfassbar energetisch. Man merkt ihm an, dass er ungeduldig ist, darauf drängt, alle seine Ideen umzusetzen. Hat er nie Tiefpunkte? „Doch“, sagt er, „aber ich versuche, mich immer so positiv wie möglich auszurichten. Denn eins ist sicher, meine Querschnittlähmung ringt mich nicht nieder.“

Instagram: chris_calm_challenge_accepted, Infos zum Verein: www.calmobility.de

Der Podcast „Von Mensch Zu Mensch“ mit Chris Calm unter www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch