Seit 200 Jahren kümmert sich das Abendroth-Haus um junge Frauen und ihre Kinder. Besuch in einer Wohn-Gemeinschaft in Eidelstedt.

Es gibt eine Spielecke mit gemütlichem Sofa im Gemeinschaftsraum, von dem man in den großen Garten des Eidelstedter Einfamilienhauses schauen kann. Ein liebevoll gebastelter Adventskalender mit bunten Päckchen hängt quer im ehemaligen Wohnzimmer, das auch als Büro der Sozialpädagoginnen Sophia Hilleberg und Stephanie Olsson dient.

Es gibt Tee und Kekse und eine warme familiäre Atmosphäre ist sofort spürbar, wenn man das Haus betritt. Olsson und Hilleberg sind zwar kein Familienersatz, aber dennoch sind sie es, die den vier Bewohnerinnen und ihren kleinen Kindern Halt, Trost und Geborgenheit bieten – etwas, das die jungen Mütter selten oder nie erfahren haben.

Vom Bürgermeister Abendroth 1821 gegründet

Sie leben in dieser kleinen Einrichtung „entweder, weil sie Hilfe selbstständig gesucht haben, oder – wie die meisten unserer jungen Mütter – vom Jugendamt zu uns geschickt wurden, damit wir ihnen bei der Erziehung des Kindes und im Alltag zur Seite stehen“, sagt Marion Thom, Geschäftsführerin bei der Stiftung Abendroth-Haus, die seit genau 200 Jahren schwangeren Frauen hilft und sie begleitet, bis sie mit ihren Kindern ihren eigenen Weg gehen können.

Mit „sittlich gefährdeten Mädchen“, die durch Dienstherren oder als Prostituierte schwanger wurden, begann die älteste freie Jugendhilfeeinrichtung Hamburgs. Als Magdalenenstift wurde sie von Senator und Bürgermeister Amandus Augustus Abendroth, einem weit blickenden Reformer, 1821 gegründet. Heute ist das Abendroth-Haus Spezialist für Mutter-Kind-Hilfen und hat 37 stationäre Plätze für junge Frauen mit deren Kindern – finanziert durch das Stiftungsvermögen und das Jugendamt, das bis zu 6000 Euro pro Monat für die Betreuung einer jungen Mutter ausgibt. „Die meisten sind zwischen 18 und 23 Jahre alt, aber in unserem Stellinger Haus wohnen auch Mädchen ab 14, dann allerdings in einer Rund-um-Betreuung“, sagt Marion Thom (61).

Eine Rund-um-Betreuung benötigt Tonya nicht. Die 19-Jährige ist es gewohnt, für sich selbst zu sorgen. „Liebe, Zuneigung – was ist das? Meiner Mutter ist egal, was ich mache“, sagt sie. Ihre Mutter sei immer mehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, „deswegen musste ich mit 13 auch mal in eine Wohngruppe, weil meine Mutter einen Entzug machen musste“, erzählt die Jugendliche freimütig und auch, dass bei ihnen zu Hause immer eine schreckliche Unordnung geherrscht habe.

Anzeige wegen Kindeswohlgefährdung

Der Grund, warum sie mit ihrer einjährigen Tochter Alina seit einem halben Jahr in der Mutter-Kind-Einrichtung wohnt, ist, dass das Jugendamt mitten in der Nacht kam und sie und Alina mitnahm. „Meine Mutter hatte vergessen, den Strom zu bezahlen, und es gab wohl eine anonyme Anzeige wegen Kindeswohlgefährdung“, sagt Tonya, die selber noch sehr kindlich wirkt.

Sie fühlt sich sichtlich wohl in dem Einfamilienhaus. Hier hat sie – wie alle anderen – zwei eigene Zimmer, Bad und Küche zur Verfügung. Ihr Bereich ist blitzsauber. Das war lange keine Selbstverständlichkeit für sie. „Wir mussten Tonya erst einmal erklären, wie man putzt und Ordnung hält“, sagt ihre Betreuerin Stephanie Olsson, die als Alleinerziehende großes Verständnis für die Probleme ihrer Schützlinge hat.

Die Betreuerinnen geben den Frauen Struktur im Alltag

Insgesamt drei Sozialpädagoginnen betreuen die Wohngemeinschaft von 9 bis 17 Uhr, unterstützen intensiv bei der Erziehung der Kinder, helfen bei behördlichen Formularen und Besuchen und geben den jungen Frauen eine Struktur im Alltag vor. Sie versuchen ihnen auch eine Perspektive neben der reinen Mutterrolle zu geben, die für viele der jungen Frauen die einzige Lebensaufgabe zu sein scheint.

Arbeiten für das Abendroth-Haus: Sylvia Wowretzko, Stiftungs-Vorstand, Marion Thom, Geschäftsführerin, Stephanie Olsson  und Sophia Hilleberg (v.l.) sind Sozialpädagoginnen.
Arbeiten für das Abendroth-Haus: Sylvia Wowretzko, Stiftungs-Vorstand, Marion Thom, Geschäftsführerin, Stephanie Olsson und Sophia Hilleberg (v.l.) sind Sozialpädagoginnen. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Marion Thom kennt etliche junge Frauen, deren Mütter schon vom Abendroth-Haus betreut wurden. „Viele unserer Mütter haben nie selbst Liebe oder eine heile Familie erlebt, sie bekommen ein Kind, weil sie von ihm diese bedingungslose Zuneigung erhoffen. Doch Babys schreien auch, fordern Aufmerksamkeit“, sagt sie.

Überfordert nach der Frühgeburt

Charline (21) fühlte sich anfangs vollkommen überfordert mit ihrem kleinen, zu früh geborenen Sohn Logan (2). Als sie mit 18 ungewollt schwanger wurde, hatte sie kein Zuhause, wohnte mal bei Freunden oder ihrer Schwester – mit den Eltern war sie verkracht.

„Es gab so viele Probleme zu Hause“, deutet sie an. Ihr Vater ist arbeitslos, die Stiefmutter Altenpflegerin, insgesamt hat Charline acht Geschwister. Sie ist die Zweitälteste. „Ich habe für alle gesorgt, den Haushalt geführt, meine kleineren Geschwister mit aufgezogen. Ich kann gut mit Kindern, aber als Logan nach dem Notkaiserschnitt zur Welt kam, viel schrie, ich kaum Schlaf bekam, da konnte ich nicht mehr. Ich bekam psychische Probleme“, sagt die junge, sehr reif wirkende Frau.

Gerne mehr Unterstützung von der Familie

Sie hätte sich mehr Unterstützung und Zuspruch von ihrer Familie gewünscht. Als diese ausblieb, zog sie in die Mutter-Kind-Einrichtung nach Eidelstedt. „Meine Familie hatte viel zu tun mit dem Jugendamt, deswegen habe ich mich dorthin gewandt und hier dann schnell einen Platz bekommen.“ Sie ist spürbar dankbar für die Hilfe, die sie hier bekommt. Leise sagt sie, dass sie nicht wisse, ob sie ihren kleinen Jungen sonst behalten hätte. „Ich habe so viele Erziehungstipps erhalten, konnte Logan auch mal abgeben. Ich habe das Rüstzeug bekommen, um alleine weiterzugehen.“ Charline ist kurz vor dem Umzug, wird künftig in einer Zweizimmerwohnung wohnen.

Derweil ist Tonya ins Gemeinschaftszimmer gekommen und fragt Betreuerin Stephanie Olsson, ob sie denn nun zur wöchentlichen Zimmerkontrolle komme. „Ich habe ganz toll aufgeräumt, das will ich dir doch zeigen“, sagt die Jugendliche und rennt die Treppe hinauf – ausgelassen wie ein Kind.

Infos rund um das Abendroth-Haus

Das Abendroth-Haus ist eine Stiftung, die seit 1821 im Bereich Mutter-Kind-Hilfen tätig ist.

Es gibt fünf Standorte in Hamburg, in denen junge Mütter und deren Kinder entweder Teil- oder Vollzeit in trägereigenen und gemieteten Wohnungen oder Wohngemeinschaften betreut werden. Familienhebammen und STEEP-Beraterinnen (Erziehungshilfe) unterstützen die Arbeit der Mutter-Kind-Angebote. Zudem bietet die Stiftung ambulante Einzel- und Familienhilfen an.

In Bramfeld gibt es zusätzlich „Frühe Hilfen“-Projekte. Dort finden Familien mit Kindern im Alter von 0 bis 3 Jahren offene Treffpunkte, Kurse und Beratung. Hilfen werden über das Jugendamt bewilligt und finanziert.

Infos: Abendroth-Haus, Maimoorweg 8, Tel.: 640 87 20, www.abendroth-haus.de