In Hamburg gab es bisher kein Tennis-Angebot für Menschen mit geistiger Behinderung. Trainer René Nicklisch gründete einen Verein.

Alexander ist voll konzen­triert. Er weiß, gleich kommt der gelbe Ball geflogen. Und den will er treffen, den wird er treffen. Ganz bestimmt. Trainer David Eisenzapf spielt die Kugel punktgenau zu, Alexander holt aus – und trifft. Der Erfolg ist dem 16-Jährigen im Gesicht anzusehen, pures Glück. „Das ist so wunderbar anzuschauen“, sagt René Nicklisch, „so viel Freude habe ich, glaube ich, noch nie gesehen wie in dieser Gruppe.“ Zehn Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 21 Jahren spielen und trainieren hier in drei Gruppen einmal in der Woche in der Tennishalle des SC Alstertal-Langenhorn (SCALA). „Mein Sohn freut sich immer schon lange, bevor es losgeht, auf die Tennisstunde“, erzählt Thomas Karl, der Vater des 16 Jahre alten Finn, „dieses Angebot ist einfach super.“

Karl spielt selbst Tennis und nahm deshalb seinen Sohn auch früh mit in den Club. Er schlug Bälle mit ihm und irgendwann wollte er ihn auch in einer Gruppe mit anderen Jugendlichen trainieren lassen. Logisch. Das war dann aber leider schwierig. „Die Kinder und Trainer waren nicht bereit dafür, es ging einfach nicht. Und dann haben wir es gelassen.“ Finn und Alexander haben eine Behinderung, wie alle Sportler in dieser ganz besonderen Sportgruppe, die der Hamburger Tennistrainer René Nick­lisch im Sommer 2021 initiierte. „Es gibt bereits Blindentennis und Rollstuhltennis, aber darüber hinaus gibt es in Hamburger Vereinen praktisch kein Tennisangebot für Menschen mit einer Behinderung“, sagt der 45-Jährige, „ich habe gedacht, das muss sich ändern.“ Darüber spricht er auch im aktuellen Podcast „Von Mensch zu Mensch“.

Sommercamp mit zwölf Kindern und Jugendlichen

In einigen Vereinen in der Stadt gab es in der Vergangenheit immer mal wieder Versuche, inklusives Tennis zu spielen, aber nachhaltig etabliert hat sich das nicht. „Wir haben deshalb in den Sommerferien ein Camp angeboten. Es gab eine Ausschreibung des Vereins Leben mit Behinderung“, erzählt Nicklisch. Das Camp fand ebenfalls auf dem Gelände von SCALA statt, zwölf Kinder und Jugendliche waren dabei, schwangen den Schläger, lernten einen neuen Sport kennen, waren begeistert. „Das war der Start für das dauerhafte Angebot jetzt.“

Er hat für das Inklusionstennis-Angebot einen Verein gegründet, um unabhängig von den bestehenden Tennisclubs zu sein. Der Verein heißt offiziell „Rene Nicklisch Dazugehören e. V.“. „Mir ist es egal, wo wir spielen. Die Idee ist, dass wir eines Tages bei unterschiedlichen Tennisvereinen in dieser großen Stadt unsere Kurse anbieten können, im Norden, Süden, Osten und Westen.“ Das Potenzial dafür ist sicherlich da – man muss nur die Möglichkeit schaffen. „Für den Sommer sprechen wir gerade mit dem TC Groß Borstel.“

Die Kinder haben vor allem geistige Behinderungen

Die Kids von „Dazugehören“ haben vor allem geistige Behinderungen, aber auch teilweise Mobilitätseinschränkungen. Es gibt auch Sportler mit Autismus und Trisomie 21. Sie werden ihren Möglichkeiten entsprechend in den Gruppen zusammen trainiert. Trainer David Eisenzapf (26) spielt in der Herrenmannschaft vom Club an der Alster, er weiß also, wie es geht. Noch viel wichtiger ist aber seine Fähigkeit zur Empathie, um sich auf seine Schüler einzustellen.

Den Podcast zum Thema Sport und Inklusion gibt es unter: www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-zu-Mensch
Den Podcast zum Thema Sport und Inklusion gibt es unter: www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-zu-Mensch © Hamburg | Podcast Von Mensch Zu Mensch

„Es dauert manchmal etwas länger und ganz komplexe Übungen gehen auch nicht“, erzählt er, „aber insgesamt ist das Traininggeben für mich einfacher als gedacht. Man muss sich im Tempo halt anpassen.“ Die Motivation ist auch für ihn die große Freude der Spieler über gelungene Schläge. „Sie wissen oft selbst, dass sie manche Dinge nicht so gut können“, hat Nicklisch festgestellt, „deshalb ist die Frustrationstoleranz oft größer, wenn etwas nicht gleich klappt.“ Nein, hier schmeißt niemand wütend seinen Schläger weg, wenn der Ball ins Aus fliegt.

Großer Respekt voreinander

Im Gegenteil: „Es ist großartig, wie die Kinder miteinander umgehen, sie klatschen sich ab, unterstützen sich, haben großen Respekt voreinander“, erzählt Nicklisch. Die Freude am Sport erhöht eben auch oft die Freude am Leben, das geht fast jedem so. „Tennis ist das ideale Spiel dafür“, meint der engagierte Trainer, „du brauchst nur einen Schläger, einen Ball und nur einen, der mitspielt. Und schon geht es los.“ Richtig, aber: Man braucht auch einen Platz.

Da kann es dann schon kompliziert werden. Jetzt im Winter hat die Gruppe das Glück, dass bei SCALA ein Court in der vereinseigenen Dreifeldhalle für drei Stunden am Mittwoch nicht gebucht war. Der Trainer Nicklisch hörte davon und griff zu. Aber natürlich muss sein Verein dafür Platzmiete zahlen. Deshalb benötigt der Verein Spenden für diese Kosten, den Trainer bezahlen die Eltern. „Wir haben das Glück, dass es einige tolle Spender gibt“, sagt der Clubgründer. Doch weitere Unterstützung wird natürlich immer gebraucht. Gerade wenn „Dazugehören e. V.“ weiter wachsen soll. Die Zusammenarbeit mit Werkstätten und Schulen ist für die Zukunft ein weiteres Ziel. Auch Vereine, die ein entsprechendes Angebot auf ihrer Anlage bieten wollen, können sich melden.

So, Pause vorbei. Alexander, Finn und Max tänzeln auf dem Platz, halten den Schläger bereit. „Ich mag Fußball und auch Tennis“, sagt Finn noch, „aber Tennis noch lieber. Tennis ist toll.“ Und da kann man ihm nicht widersprechen.

Weitere Teilnehmer mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen sind willkommen. Weitere Infos: www.rene-nicklisch.de, Kontakt: E-Mail: info@rene-nicklisch.de

Sportlotsen bei der Stiftung Alsterdorf

Aktuell bieten nur 31 von 784 Hamburger Sportvereinen inklusive Sportangebote an. Christina Göpfert (Foto) leitet den Bereich „Sport und Inklusion“ bei der Ev. Stiftung Alsterdorf und versucht mit ihrem Team, Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe im Sportbereich zu ermöglichen.

Menschen mit Behinderung suchen selten Sportvereine direkt auf, da sie entweder keine Information über die Angebote haben oder es keine passenden Angebote gibt. Die Sportvereine wiederum bieten aber ohne erkennbaren Bedarf keine neuen Angebote an.

Christina Göpfert leitet den Bereich Sport und Inklusion bei der Ev. Stiftung Alsterdorf
Christina Göpfert leitet den Bereich Sport und Inklusion bei der Ev. Stiftung Alsterdorf © Christina Göpfert | Christina Göpfert

Diesen Kreislauf versucht die Stiftung Alsterdorf durch das Projekt „Sportlotse – gemeinsam was bewegen“, das es seit 2019 gibt, zu durchbrechen. Sportlotsen ermitteln Bedarfe bei Menschen mit Behinderung und motivieren sie dazu, Sport zu machen.

Daraus entstehen niedrigschwellige und wohnortnahe Bewegungsangebote in Einrichtungen, Stadtteiltreffpunkten, Nachbarschaftsinitiativen oder Parks. Oder es gibt ein Sportangebot direkt im Verein: Die Vermittlung an den Sportverein erfolgt dabei in enger Zusammenarbeit mit dem Hamburger Sportbund. Dieser unterstützt Vereine beim Aufbau von inklusiven Sportangeboten.

Infos: sport-alsterdorf.de

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