Sehnsucht nach Nähe: Nach dem Tod des Gefährten kann nur der Hinterbliebene entscheiden, wann es Zeit für eine neue Liebe ist.

„Seine Frau ist kaum unter der Erde, da hat er schon eine Neue. Der ist richtig verknallt, das finde ich unmöglich!“ Ich erinnere mich noch genau, wie ich diese Konversation bei Bekannten am Tisch hörte und mir innerlich die Wut hochkroch. Was die lästernde Person nämlich nicht erwähnte, war, dass der Mann seine Frau über Jahre liebevoll unterstützt hatte. Sie war chronisch erkrankt und der Tod war eine Erlösung – für beide. Jetzt erwachte seine Lebenslust wieder, na und? Er hat in schlechten Zeiten zu ihr gehalten, hat auf vieles verzichtet. Wie schön, dass er nun wieder reisen, ins Theater gehen kann und Schmetterlinge im Bauch hat.

Wer bin ich, dass ich mir anmaßen kann zu beurteilen, wie lange ein Mensch um einen anderen trauern muss? Eigentlich kann man Hinterbliebenen doch nur wünschen, dass sie wieder glücklich werden. Auch wenn das für mich als Freundin bedeutet, dass ich mich auf eine neue Person an seiner oder ihrer Seite einstellen muss. Das heißt doch nicht, dass man die Erinnerung an den Verstorbenen verrät, man orientiert sich nur neu, weil es eine Sehnsucht nach Nähe gibt. Den Zeitpunkt dafür kann nur der Hinterbliebene selbst wählen.