Es war ein ungewöhnlicher Gedanke, den acht Studenten aus fünf Nationen ausgerechnet in einer Silvesternacht teilten: „Wir beschlossen, dass wir etwas aktiv gegen die Bildungsungerechtigkeit in der Stadt tun müssen und nicht nur immer darüber reden sollten“, sagt Gloria Boateng bei der Feier zum zehnten Geburtstag von Schlaufox e. V. Das ist der Verein, der aus dieser Idee entstanden ist. Er hat seit seiner Gründung am 16. Juli 2008 mehr als 2000 benachteiligte Kinder und Jugendliche gemeinsam mit rund 400 Ehrenamtlichen in Hamburg gefördert und ist mehrfach ausgezeichnet worden – unter anderem auch mit der „Hamburger Tulpe für interkulturellen Gemeinsinn“ der Körber-Stiftung.
Inzwischen gibt es sechs unterschiedliche Programme der Initiative: „JEA!“ bietet ein zweijähriges intensives Coaching für Risikoschüler auf dem Weg zu ihrem Schulabschluss, „Ankerlicht“ ist ein Bildungsmentoring für jugendliche Geflüchtete, in der „Plietschen Kinderküche“ kochen Schlaufox-Ehrenamtliche mit Grundschülern, bei den „Food Ninjas“ sammeln Jugendliche im Catering erste Berufserfahrung, bei „Varia Kultur“ gestalten Kinder gemeinsam mit einem Künstler ein Geschichten-Lebensbuch, das „Mittelpunkt“-Projekt ermöglicht Einzelnachhilfe und bei „STAR“ unterstützen derzeit 26 hauptamtliche Schulbegleiter Schüler mit besonderem Förderbedarf – von der Schulbehörde finanziert. Ein Engagement, das auch der Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ gern unterstützt.
Gloria Boateng (38) arbeitet als Vorstandsvorsitzende ehrenamtlich für Schlaufox. Die Trägerin der Integrationsmedaille verdient ihr Geld als Lehrerin an der Stadtteilschule Bahrenfeld. Sie weiß durch ihre Biografie, wie wichtig Bildung und Chancen sind. „Ich lebte, bis ich zehn Jahre alt war, in einem winzigen Dorf in Ghana und konnte kein Wort Deutsch, als ich nach Hamburg kam“, erzählt Boateng, die jedoch so schnell Deutsch lernte, dass sie noch während ihrer Schulzeit anderen Migrantenkindern Nachhilfe geben konnte. Auch die Geburt ihrer Tochter, die in der Abiturzeit zur Welt kam, hielt sie nicht davon ab, mit Kommilitonen den Verein Schlaufox voranzutreiben.
„Wir fingen mit einem Ferienprogramm an – für Kinder, deren Eltern sich keinen Urlaub leisten konnten. Sie gingen mit uns ins Museum, Theater und in die Kinderoper“, erinnert sich Gründungsmitglied Janna Hilger (38), Geschäftsführerin von Schlaufox. Das erste Kind, das die Studentengruppe damals auf seinem Schulwerdegang begleitete, war R., der durch den frühen Tod seiner Mutter schwer traumatisiert war. „Der damals Elfjährige galt als unbeschulbar, sollte aus der Sonderschule fliegen, das war für uns nicht hinnehmbar“, erinnert sich Hilger, die R. mit zwei weiteren „Schlauföxen“ an fünf Tagen in der Woche coachte. „Der Junge hat uns an unsere Grenzen gebracht. Manchmal habe ich mit ihm an der Turnstange kopfüber das Einmaleins geübt“, sagt sie fröhlich.
Es sind Geschichten wie die von R., welche die vielen Ehrenamtlichen motivieren, bei Schlaufox mitzumachen. Lehramtsstudentin Mara Weise hat über zwei Jahre eine Schülergruppe als JEA!-Coach begleitet und so auch für ihren künftigen Beruf praktische Erfahrungen gesammelt. Jetzt plant die 25-Jährige gemeinsam mit den Schlaufox-Verantwortlichen, wie das Projekt noch weiter wachsen kann.
„Was wir hier machen, tun wir ja nicht für uns, sondern für unsere Gesellschaft. Wir brauchen gebildete junge Menschen – und ich will schließlich im Alter auch versorgt sein“, sagte Gloria Boateng und erntet damit von den Jubiläumsgästen viel Applaus und Gelächter.
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