Sterbens

Schüler philosophieren über den Tod

| Lesedauer: 6 Minuten
Martina Petersen
Schüler des Gymnasiums Heidberg hielten eine Lesung im Hamburger Hospiz über ihre Gedanken zum Tod

Schüler des Gymnasiums Heidberg hielten eine Lesung im Hamburger Hospiz über ihre Gedanken zum Tod

Foto: Andreas Laible

Eine Ausstellung im Hamburger Hospiz ist speziell für Kinder und Jugendliche konzipiert. Gymnasiasten hielten dazu eine Lesung

Als ich das erste Mal an den Tod dachte, war ich sieben“, liest Marwin aus einem selbst verfassten Text vor. „Dann kam der Tod wirklich, als mein Opa an Blutkrebs gestorben ist. Danach dachte ich darüber nach, wie ich wohl sterben würde und wann.“ Zusammen mit zehn weiteren Schülern vom Gymnasium Heidberg steht der 16-Jährige im Veranstaltungsraum des Hamburger Hospizes e. V. und trägt die Ergebnisse eines wohl einzigartigen Unterrichtsprojekts in Hamburg bei einer Lesung vor: Drei Jahre lang thematisierte die Professorin für Philosophiedidaktik, Barbara Brüning, an der Langenhorner Schule mit Schülern im Philosophieunterricht das Thema „Tod“.

Aus ihren Texten, Zeichnungen und Fotos ist das Buch „Lebenslicht – Wie Jugendliche über das Sterben denken“ (Leibniz Bücherwarte) entstanden, das Erwachsenen Mut macht, sich mit Kindern und Jugendlichen über das oft tabuisierte Thema auszutauschen. „Kinder entdecken das Werden und Vergehen in der Natur von ganz allein“, sagt Barbara Brüning. „Wenn sie eine tote Amsel im Garten finden, ein Haustier oder ein Familienmitglied stirbt, beginnen sie Fragen zu stellen. Dann machen die meisten die Erfahrung, dass ihre Eltern befangen reagieren oder das Thema ganz abblocken. Wenn die Kinder aber mit ihren Gedanken alleingelassen werden, kann das große Ängste auslösen.“

Fast alle Schüler berichten davon, dass sie das Thema „Tod“ vor dem Schulprojekt als „düster“, „gefährlich“ oder „gruselig“ empfunden haben. „Als mein Opa starb, habe ich nicht verstanden, was los ist. Alle haben geweint, aber ich konnte ihren Schmerz nicht begreifen. Das hat mir als Kind fast das Herz zerrissen“, erzählt Hosna (16).

Und so entpuppte sich die Unterrichtseinheit als echtes Wunschthema der damals 13- und 14-Jährigen. Die Schüler lasen Märchen und philosophische Texte zum Thema, tauschten sich über ihre bisherigen Erfahrungen und ihre spirituellen Vorstellungen aus und brachten ihre Gedanken in Geschichten und Gedichten zu Papier. In Diskussionen packten sie heiße Eisen wie „Sterbehilfe“ an und fragten sich, ob man auch um Haustiere oder Massenmörder trauern dürfe. Sie verfassten Referate über die verschiedenen Bestattungsformen und nahmen an einer Führung über den Ohlsdorfer Friedhof teil. Lucy (16) hat dort zum ersten Mal das Grab ihres Vaters besucht, zu dem sie zeitlebens keine Bindung aufbauen konnte. „Dadurch habe ich erst begriffen, dass er tot ist, und konnte um ihn weinen“, sagt sie. Einige Schüler haben eine Vorstellung davon bekommen, wie sie später selbst einmal bestattet werden möchten. Außerdem haben alle auf eigenen Wunsch eine Patientenverfügung verfasst und so das Unterrichtsthema auch in ihre Familien getragen.

„Ich habe großen Respekt vor den Ideen der Kinder und Jugendlichen entwickelt“, sagt Barbara Brüning, die seit 30 Jahren mit Kindern unterschiedlichen Alters über existenzielle Fragen philosophiert und dazu zahlreiche Bücher und Unterrichtsmaterialien veröffentlicht hat. „Seither gibt es den Satz: ,Das können Kinder nicht‘ für mich nicht mehr.“ Dabei betont die Erziehungswissenschaftlerin, dass es im Umgang mit den großen Seinsfragen kein Patentrezept gebe. „Ich würde Eltern immer raten, die Fragen der Kinder ernst zu nehmen und den Ball erst einmal mit der Gegenfrage ,Wie stellst du es dir vor ?‘ zurückzuspielen.“

Mittlerweile gibt es zahlreiche Kinder- und Jugendbücher zum Thema „Tod“, über die die Generationen miteinander ins Gespräch kommen können. So hat auch das Hamburger Hospiz dieses Jahr das Thema „Mit Kindern über den Tod reden“ als Schwerpunkt. In diesem Rahmen gab es vergangene Woche die Schülerlesung und läuft seit Mitte April die Ausstellung „Punkt, Punkt, Komma, Tod“ . Dort werden 40 Bilder von fünf Künstlern gezeigt, welche die Lebenswirklichkeit von Kindern zum Thema „Endlichkeit“ thematisieren. So gibt es Illustrationen aus Kinderbüchern, die Vorstellung eines Hundehimmels und wie ein Mädchen sich den Tod ausmalt. „Jeder findet ein Bild, das ihn anspricht“, sagt Barbara Brüning.

Für sie gehört die Auseinandersetzung mit dem Sterben bereits in die Kita und die Grundstufe der Schule, weil in diesen jungen Jahren erfahrungsgemäß die ersten Fragen aufkämen. Auf dem Lehrplan für die Fächer Philosophie und Ethik ab Klasse 5 sollte es ihrer Meinung nach fest verankert werden: „Im Teenageralter setzt die Selbstreflexion und damit eine neue Qualität der Persönlichkeitswerdung ein.“ Ihre ehemaligen Schüler betonen, wie sehr das gemeinsame Philosophieren im Unterricht ihre Haltung zu Leben und Tod verändert habe. „Heute habe ich Respekt, aber keine Angst mehr vor dem Tod“, sagt Maggie (17), „und weil ich mich mit meiner Sterblichkeit auseinandergesetzt habe, lebe ich heute bewusster und genieße mein Leben viel mehr.“. Und Firhana (17) ergänzt: „Ich spreche die Themen Tod oder Selbstmord mittlerweile sehr offen an. Als eine Freundin neulich sagte, sie hasse ihr Leben, habe ich gleich nachgehakt.“

Bei der Lesung im Hamburger Hospiz e. V. beginnt das für die Schüler ehemals so düstere Thema „Tod“ in vielen Facetten zu schillern. In der Diskussion spinnen sie Gedankenfäden virtuos weiter und geben auch widerstreitenden Gefühlen Raum. Mit ihrer Offenheit und ihrem von Konventionen unverstellten Blick verstehen es die Teenager, das Publikum zu berühren und zu inspirieren. So wird schnell klar, dass auch die Älteren vom fantasievollen Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen enorm profitieren können.

Die kostenfreie Ausstellung „Punkt, Punkt, Komma, Tod“ läuft bis 28.9. im Hamburger Hospiz e. V., Helenenstr. 12. Sie ist geeignet ab Kita-Alter. Es führen Hospizmitarbeiterinnen, die auch mit Kindergruppen malen. Besuche sind werktags nach Anmeldung möglich unter: veranstaltungen@hamburger-hospiz.de