Muntere Kinderstimmen dringen aus dem Gebäude der Stadtteilschule Wilhelmsburg. Mitten in den Sommerferien beleben knapp 40 Kinder im Grundschulalter das ansonsten verwaiste Schulgelände. Zwei Wochen lang nehmen sie an einem freiwilligen Unterricht teil, befassen sich mit Deutsch und Mathe und haben dabei viel Spaß – in den Lernferien von Climb. Das Wort steht für „Clever lernen, immer motiviert bleiben“.
Eben ist die Pause vorbei, die Kinder strömen in die Klassenräume. An den Türen der drei Klassen kleben große Plakate mit den Aufschriften „Die Abenteurer“, „Das Forschungslabor“ oder „Die geheimen Labormäuse“. Dahinter beginnt für jede Gruppe die „zweite Lernzeit“ an diesem Vormittag. In der Gruppe „Forschungslabor“ sitzen die Kinder im Kreis, unter ihnen zwei Climb-Lehrerinnen. Jetzt steht Mathematik auf dem Programm und eine der ersten Aufgaben lautet: „Stellt euch für 20 Sekunden auf ein Bein.“ Doch wie lange ist das eigentlich? Wer glaubt, dass die Zeit um ist, darf sich setzen. Alle Kinder verschätzen sich, bleiben mindestens 40 Sekunden und länger stehen. Doch alle wissen danach, was „Schätzen“ bedeutet. Mit einigen solcher ungewöhnlichen Aufgaben vermitteln die Climb-Lehrerinnen die Welt der Zahlen und Maße.
Climb ist ein Hamburger Sozialunternehmen, das die Bildungschancen für Kinder und Jugendliche besonders in benachteiligten Stadtteilen fördern will. Mit seinem Angebot der zweiwöchigen Lernferien kooperiert Climb mit Schulen in sozialen Brennpunkten. Die Schüler werden oft von den Lehrern für das Programm vorgeschlagen. Ein weiterer Kursus findet in Altona statt.
Ein typischer Climb-Tag besteht aus zwei Lernzeiten für Deutsch und für Mathematik am Vormittag und einer Projektzeit am Nachmittag, in der experimentiert, gekocht oder gebastelt wird. Zwei Tage sind für Ausflüge reserviert. Aber ausgerechnet in den Ferien auch noch zur Schule gehen?
„Ich finde das voll cool“, sagt die zehnjährige Dilan. Sie macht bei den Lernferien schon zum dritten Mal mit. „Wir fahren diesen Sommer nicht in den Urlaub in die Türkei, dann sind die Ferien langweilig, aber hier finde ich neue Freunde und werde immer schlauer“, sagt sie.
Der Ansatz soll zur Freude am Lernen, zum Üben und Ausprobieren motivieren
Charlotte Frey, eine der drei Gründerinnen von Climb, freut sich über solche Aussagen. „Lernen in den Ferien macht Spaß, und zwar Lernen, so wie wir es verstehen“, sagt sie. Den Climb-Gründerinnen gehe es darum, die Stärken der Kinder zu sehen und zu fördern. „Wenn man Menschen zeigt, was sie können, dann werden sie mutig und trauen sich etwas zu“, sagt die 26-Jährige. Climb kann auch so verstanden werden: immer noch ein Stück höher klettern, über seine Fähigkeiten hinauswachsen. „Unser Ansatz soll zur Freude am Lernen, zum Üben, Ausprobieren motivieren.“ Da darf auch mal eine Aufgabe schiefgehen, wichtiger ist, dass der Mut auch bei Rückschlägen nicht sinkt. Und so greifen die Kinder in der Mathe-Lernzeit beherzt in die Kästen mit den Blitzlichtaufgaben zum Rechnen. Die Climb-Lehrerinnen helfen ihnen bei der Wahl der Aufgabenkärtchen mit Schweregraden von der Vorschule bis zur vierten Klasse. Der achtjährige Okan versucht sich beim Multiplizieren, während Vorschulkind Gjelan bunte Farbpunkte zusammenzählt und sich auch nicht von Schama, 7, helfen lassen will. Zwei Jungen sind bereits fertig, die Lehrerin motiviert sie: „Eine Karte schafft ihr noch.“
Auch für die Lehrer sind die zwei Wochen eine Möglichkeit, eigene Stärken zu entdecken sowie hinter die Anforderungen des Lehrerberufs zu schauen. Es sind neben Lehramtsstudenten auch Hochschulabsolventen dabei, die sich bei Climb für einen ehrenamtlichen Einsatz bewerben. „Sie bereiten alles selber vor, werden von Trainern angeleitet, ihre persönlichen Fähigkeiten in den Unterricht einzubringen“, sagt Frey.
Sie selbst bewarb sich nach ihrem Bachelor in Politik und Geschichte bei Teach First Deutschland, einer Bildungsinitiative, die sich ebenfalls für gleiche Bildungschancen einsetzt. Dafür schickt sie junge Akademiker als Fellows an Schulen, die Unterstützung nötig haben. Charlotte Frey, die sich nach dem Studium sozial engagieren wollte, ging an eine Stadtteilschule in Eidelstedt. Dort baute sie die Schulbibliothek auf und übernahm die Medienerziehung. Auch die beiden anderen Climb-Gründerinnen arbeiteten als Fellows in Hamburg. Charlotte Frey, Hannah Schmidt-Friderichs und Jennifer Busch erkannten in dieser Zeit den Bedarf von Kindern, die sich in den Ferien langweilen, und von Hochschulabsolventen, die Praxiserfahrung suchen. Und so gründeten sie die Climb-Lernferien. „Wir starteten 2012, und das hat gleich gut funktioniert“, so Frey. Die Kinder zahlen für die Lernferien 50 Euro, zum Teil wird der Beitrag ebenso wie die Initiative, über Spenden finanziert. Auch der Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ unterstützt die Lernferien.
In der Gruppe „Forschungslabor“ wird es zur Mittagszeit hin etwas unruhig. Climb-Lehrerin Anna Dremel hebt eine Hand und legt den Finger zum „Pst“-Zeichen auf den Mund. Es ist eins der kleinen Rituale, die die Kinder wieder als Gruppe zusammenbringen.
Bevor es Mittagessen gibt, werden in der Runde noch die Container verteilt. Jedes Kind hat die Zeichnung eines Containerschiffs bekommen, darauf werden zum Abschluss der Lernzeiten bunte Etiketten – als Container – aufgeklebt. „Ich habe heute mit den anderen zusammengearbeitet“, sagt ein Kind und erhält von der Lehrerin einen Aufkleber mit einem lila Container. „Ich habe weitergemacht, obwohl es schwer war“, das ist einen orangefarbenen Container wert.
So füllen sich die Bilder mit den bunten Klebern und zeigen den Kindern, was sie alles geschafft haben. „Solche Erfahrungen fördern das Selbstbewusstsein und die Fähigkeit der Kinder, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Charlotte Frey. Und sie bilden einen weiteren Baustein zum unbeschwerten Lernen – nicht nur in den Ferien.
Weitere Infos unter: www.climb-lernferien.de
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Von Mensch zu Mensch