Seit einem Jahr gibt es die Bewegungsinitiative „Mach mit – bleib fit!“ von Hamburger Sportbund und Hamburger Abendblatt. Dabei kommen Sportvereine in Wohnanlagen und Senioreneinrichtungen. Inzwischen gibt es Gruppen in allen Bezirken.

Es ist erstaunlich, was man mit einem Stab so alles machen kann: drüber hinwegsteigen, hinter dem Rücken entlangführen, auf der Hand balancieren. Christian Lorentz fallen immer neue Übungen für seine Gymnastikgruppe ein. Jetzt sollen die Teilnehmer den Stock gerade hochwerfen und schnell auffangen. „Damit trainiert ihr euer Reaktionsvermögen, das ist wichtig im Alltag“, sagt der Übungsleiter vom Sportverein Grün-Weiß Eimsbüttel. Jeden Mittwochmorgen kommt Lorentz in den Gemeinschaftsraum der Wohnanlage der Schiffzimmerer Genossenschaft in Stellingen und trainiert Koordination, Beweglichkeit und Ausdauer mit bis zu zehn Senioren, die dort wohnen.

Die Gruppe ist Teil der Bewegungsinitiative für Ältere „Mach mit – bleib fit!“ von Hamburger Sportbund (HSB) und Abendblatt, die vor genau einem Jahr im September in 14 Stadtteilen startete und inzwischen 36 Kurse in allen Bezirken der Stadt anbietet. Dabei gehen speziell ausgebildete Übungsleiter aus lokalen Sportvereinen in Senioreneinrichtungen und Wohnanlagen. Ziel des Projekts ist neben der Bewegungsförderung, Älteren eine Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen und eine Vernetzung in dem Stadtteil zu bilden. So sind etliche Kurse nun auch für Senioren aus der Umgebung geöffnet (siehe Artikel unten).

Der wöchentliche Kursus hat Birgitt Lütge aus ihrer Isolation rausgeholt

Für die Gruppe von Christian Lorentz ist dieses Konzept voll aufgegangen. Fast alle, die vor einem Jahr angefangen haben, sind noch mit Begeisterung dabei. Und inzwischen treffen die „Sportler“ sich auch außerhalb der Gymnastikstunde zum Kaffeetrinken und zu Spieleabenden im Gemeinschaftsraum. „Vorher hat man sich im Hausflur gegrüßt, mehr nicht, jetzt sind wir eine richtig tolle Gemeinschaft“, sagt Ingo Friede, 69, der mit seiner Frau Ilona, 62, dabei ist. „Ich freue mich immer sehr auf den Mittwoch. Denn mich hat der Kursus aus meiner Isolation rausgeholt“, sagt auch Birgitt Lütge. Die 73-Jährige kann wegen einer Venenverengung kaum noch laufen, ist viel allein zu Hause – doch für den Kursus muss sie nur mit dem Fahrstuhl von ihrer Wohnung aus nach unten fahren. „Ich bin jetzt schon viel beweglicher, und das gibt mir Selbstbewusstsein, doch mehr rauszugehen“, sagt sie. Dann wendet sie sich wieder der Gruppe zu.

Jetzt sitzen alle auf Stühlen und schwingen kleine Hanteln – die Hälfte der Stunde ist Sitzgymnastik. Die Sportgeräte hat Christian Lorentz von den Teilnehmerbeiträgen angeschafft, zwei Euro zahlen die Senioren pro Stunde und auch nur dann, wenn sie kommen und mitmachen.

Mehr Geld für Sport hätte Liane Werlich auch nicht übrig. „80 Euro habe ich in der Woche zum Leben, da sind keine großen Sprünge möglich“, sagt die 71-Jährige. Sie ist Witwe, fünf Kinder hat sie großgezogen und seit einem Jahr wohnt sie in der kleinen Genossenschaftswohnung. Als Ingo Friede sie wegen des Bewegungskurses ansprach, war sie sofort dabei. „Das macht Spaß, tut der Seele gut und ich habe gleich ein paar Leute kennengelernt, sonst ist es hier ja eher anonym“, sagt sie. Die anderen um sie herum nicken zustimmend.

Deswegen ist auch Michael Foerster, der für das soziale Management bei der Schiffzimmerer Genossenschaft zuständig ist, so froh über das Angebot von „Mach mit – bleib fit!“. „Wir haben nur positive Rückmeldungen. Es gab auch schon eine Anfrage aus einer anderen Anlage, ob wir dort auch so etwas starten können.“

Die Kooperationen der Wohnanlagen und Senioreneinrichtungen finden immer mit den lokalen Sportvereinen statt. „Wir sehen das als sozialen Auftrag, denn wir wissen, dass viele Ältere nicht in einen Verein eintreten wollen. Hiermit erreichen wir auch die, die sich früher nie viel bewegt haben und nun durch Bekannte und Nachbarn motiviert werden“, sagt Jürgen Hitsch, Geschäftsführer von Grün-Weiß Eimsbüttel. Ähnlich sieht es auch HSB-Präsident Dr. Jürgen Mantel. „Wir gehen hier mit unseren Vereinen einen völlig neuen Weg. Der Sport kommt zu den Senioren nach Hause, wenn sie nicht mehr mobil genug sind. Darum konnten wir mit unseren Partnern in kurzer Zeit auch so viele Gruppen aufbauen. Und zu sehen, wie zufrieden die Aktiven nach den Übungseinheiten sind, spornt uns an, noch mehr Wohnanlagen, Vereine und Spender zu überzeugen.“

Ein Hauptförderer ist die Alexander Otto Sportstiftung. Sportsenator Michael Neumann (SPD) unterstützt die Gemeinschaftsaktion von Anfang an und besuchte sogar einen Bewegungskursus im Elbschloss an der Bille. Und Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) gab 2013 beim Kongress „Pakt für Prävention“ den Startschuss für das Projekt. „Bewegung fördert die Gesundheit, hält den Geist fit und stärkt insbesondere im Alter die Mobilität. „,Mach mit – bleib fit!‘ ist ein gelungenes und lebendiges Beispiel für Initiativen, die der Hamburger Pakt für Prävention initiieren möchte“, meint Prüfer-Storcks. Auch in diesem Jahr wird Katrin Gauler, als Referatsleiterin beim Hamburger Sportbund für die Initiative verantwortlich, auf dem Kongress am 10. September eine Zwischenbilanz des Projekts ziehen. Im Herbst sollen dann auch die ersten Ergebnisse der begleitenden Studie des Instituts für Sport- und Bewegungsmedizin der Universität Hamburg vorliegen.

Für Christian Lorentz war die Initiative sogar der Grund, warum er einen Übungsleiterschein mit Schwerpunkt Seniorensport gemacht hat. Der 67-Jährige war bis vor zwei Jahren als Sozialwissenschaftler im Gesundheitsamt beschäftigt. „Ich weiß, wie wichtig solche Kurse für die Altersbeweglichkeit sind. Ich möchte den Menschen damit Mut machen, aus ihren Wohnungen zu kommen“, sagt Lorentz, der ab Mitte September eine zweite Gruppe beim Verein Lange Aktiv Bleiben (LAB) in Lokstedt anbietet. Christian Lorentz hat zwar sein Leben lang Sport gemacht, doch bei manchen seiner Übungen kommt auch er aus der Puste. „Das finde ich gerade so sympathisch an ihm“, sagt eine der Teilnehmerin und lacht in die Runde.