Beim Wandsbeker TSV Concordia gibt es zwei Fußballteams mit Spielern mit Behinderungen. Von Hanna Kastendieck

Sie glaubt nicht an Zufälle. Eher an Fügung. Daran, dass es seinen Sinn haben muss, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort bestimmte Menschen zusammentreffen. Johanna Sabat erinnert sich noch genau an jenen verregneten Nachmittag im Frühling 2011. Die Erzieherin von der Lebenshilfe Hamburg will mit ihrem Schützling Timo auf den Sportplatz des nahe gelegenen Sportplatzes des Matthias-Claudius-Gymnasiums Fußball spielen. Doch es gießt in Strömen. Die Fläche ist unbespielbar. Also weichen die beiden auf den Platz des Wandsbeker TSV Concordia am Osterkamp aus.

Damals fluchten sie über das Schietwetter. Heute wissen Frau Sabat, Timo und all die anderen, die inzwischen mitspielen, dass dieser Regentag der Anfang für eine ganz besondere Entwicklung gewesen ist.

An diesem Nachmittag nämlich gesellen sich ein paar kleine Jungs aus der Nachwuchsmannschaft des Vereins dazu. Timo übernimmt die Position des Torwarts. Es spielt keine Rolle, dass er eine Behinderung hat, das Down-Syndrom. Auf dem Platz sind alle gleich. Sie kämpfen, jubeln, verzweifeln und feuern sich gegenseitig an. Zeugwart Gerd Angelbek, der fast jeden Nachmittag auf dem Gelände ist, beobachtet die Truppe. Die gemeinsame Freude geht ihm mitten ins Herz. Weil er die Begeisterung teilen will, läuft er hinüber zum Büro des Vizepräsidenten Bernd Orgas. Kurze Zeit später schauen die beiden Männer dem Spiel vom Fenster aus zu. Und sie schmieden einen Plan. Das, was sich hier so spontan und voller Freude entwickelt, soll nicht einmalig bleiben. Bernd Orgas, der selbst körperlich eingeschränkt ist, will eine Mannschaft aufstellen, in der Menschen mit Behinderung, egal welchen Alters und mit welcher Einschränkung, gemeinsam auftreten. Er macht sich auf den Weg zu Johanna Sabat. Noch kennt er die junge Frau nicht. Doch schon bald wird sich aus der Begegnung ein tatkräftiges Team bilden.

„Wir waren beide sofort von der Idee begeistert“, erinnert sich die heute 36-Jährige. Innerhalb kürzester Zeit spricht sich die Idee im Verein herum. Als Trainer verpflichten sie den 17 Jahre alten Nachwuchsspieler Robin Polzin. Er gilt als großes Talent, spielt mit der Herrenmannschaft in der Landesliga. Er ist ein Vorbild, einer, der motivieren und sich einfühlen kann. Er hat keine Berührungsängste, nimmt die Spieler ernst. Sie fahren zu Turnieren, reisen zu den Special Olympics. Die Truppe wächst. Inzwischen gibt es zwei Mannschaften, die Profis und die Profis von morgen. Es sind Menschen im Alter von 16 bis 56 Jahren, mit geistiger Behinderung, mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen und aus (fast) allen Ländern der Welt, sodass der Inklusionsgedanke gleich eine mehrfache Bedeutung erhält. Trainiert wird immer freitags von 16 bis 18 Uhr.

Für die Spieler ist es eine wichtige Erfahrung, auf dem Platz ernst genommen zu werden. Sie erleben Gemeinschaft, erfahren, dass sie wichtig sind. Wenn ein Turnier ansteht, kommen sie alle. Vier Euro zahlt jeder Spieler pro Monat. Die restlichen Kosten trägt der Verein. „Wir versuchen, das Projekt mit Spenden zu finanzieren“, sagt dessen Vorstand Manfred Sommer. Dem 61-Jährigen ist es wichtig, Menschen, die anders sind, zu integrieren. „Wir sind aktiv, setzen Ideen um“, sagt er. Das sei gelebte Integration – und wirkungsvoller als das Gerede darüber an irgendwelchen „runden Tischen“. 2012 erhielt das Projekt den Werner-Otto-Preis der Alexander-Otto-Sportstiftung für die gelungene Zusammenarbeit zwischen Lebenshilfe, Hamburger Weg und dem Verein.

Doch nicht nur die Spieler profitieren von dem Projekt. Auch ihre Trainer, zu denen neben Robin Polzin seit einem Jahr auch Vereinskollege Tim Kautermann gehört, lernen fürs Leben dazu. „Man lernt hier Menschen kennen, die eine ungeheure Freude am Spiel haben. Spieler, die sich nicht ums Äußere scheren und einen mit offenen Armen empfangen“, sagt der 26 Jahre alte Zollbeamte. Robin Polzin hat die Erfahrung der vergangenen Jahre so stark geprägt, dass er sogar seine berufliche Laufbahn dahingehend plant. Derzeit macht er eine Ausbildung zum Ergotherapeuten, weil er auch künftig eng mit Menschen zusammenarbeiten möchte. Und auch, wenn er in der kommenden Saison als Spieler in einen anderen Verein gehen wird, will er seiner Truppe als Trainer treu bleiben.

Die würde ihn auch gar nicht gehen lassen. „Er ist der beste Coach“, sagt Sabrina Dorow. Die 20-Jährige ist seit zwei Jahren dabei, spielt in der Abwehr und ist stolz darauf, zu den Schnellsten zu gehören. Dass sie geistig zurück ist, Lernschwierigkeiten hat, weil ihre Mutter während der Schwangerschaft getrunken hat, spielt auf dem Platz keine Rolle. Ihr Teamkamerad Timo Schulze spielt lieber im Sturm. „Da bin ich richtig gut“, sagt er. Doch viel wichtiger als aller Erfolg ist ihm sein Trainer. Dieser wird jedes Mal mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Timo Schulze, der inzwischen 33 Jahre alt ist, ist derjenige, auf dessen erste Bolzversuche hin auf dem Concordia-Platz die Idee für die Cordi-Lebenshilfe-Fußballmannschaft entstand. Er war es auch, der sich damals mit seiner fröhlichen Art direkt in das Herz von Vizepräsident Bernd Orgas spielte. Dieser träumte damals von einer Truppe mit mindestens 30 Spielern. Heute sind es 31. Orgas, der selbst schwer krank war, starb 2012. Er hat die Erfüllung seines Traumes leider nicht mehr erlebt.