Als Cornelius Grau aufgrund einer Nierenerkrankung die tägliche Dialyse droht, entscheidet sich seine Gattin Angelika zu einer Lebendspende. Jetzt gibt das Ehepaar seine guten Erfahrungen an andere Betroffene weiter.

Sie haben ein Doppelzimmer mit getrennten Betten. Sie stehen ein ganzes Stück auseinander, wie das in Krankenhäusern so üblich ist. Aber so nah, wie an diesem Morgen, waren sich die beiden selten zuvor. Sie wissen, dass es um das Leben geht. Um ein Leben ohne Dialyse. Cornelius Grau schaut seine Frau an. Er ist blass. Es geht ihm nicht gut. Die Nieren arbeiten kaum noch. Die Zeit drängt. Lange hält er nicht mehr durch. Als die Ärzte Angelika Grau aus dem Zimmer schieben, lächelt sie ihren Mann an. Ihr Blick sagt mehr als tausend Worte.

Sie haben nicht ein einziges Mal diskutiert. Weil jedes Wort überflüssig gewesen wäre. Und es keine Zweifel gab. Beiden war vom Moment der Diagnose an klar: „Wir ziehen das gemeinsam durch!“

Angefangen hat alles am 28. April 2011. Ein schöner Tag. Ein Tag zum Ausreiten, für die Jagd oder einen langen Spaziergang am Weissenhäuser Strand. Für Cornelius Grau und seine Frau Angelika wird es ein Tag, der ihr Leben für immer verändern wird. Cornelius Grau wacht mit Ohrenschmerzen auf. So etwas hat er sonst nie. Ungewöhnlich, denkt er. Gemeinsam fahren sie nach Eutin zum Arzt. Er kann nichts feststellen, nimmt Blut ab. Dann das niederschmetternde Ergebnis: die Nierenwerte laufen aus dem Ruder. Cornelius Grau, der Unternehmer, der Mann mit dem fröhlichen Gemüt und der scheinbar nie endenden Energie, Vater von drei Kindern, einer, dem die Familie über alles geht – sterbenskrank. Die Graus wissen, was das heißt. Entweder ein Leben an der Dialyse oder die Hoffnung auf ein gespendetes Organ. Sie wissen auch, dass es Monate, gar Jahre dauern kann, bis ein passender Spender gefunden wird. Und dass jeder Tag zählt. Angelika Grau zögert nicht. Sie sagt: „Cornelius, dann spende ich.“

Sie ist keine Frau, die zaudert. Klar in ihrer Person, eindeutig in dem, was sie tut. Sie mag es nicht, wenn man um den heißen Brei redet. Und sie ist eine zuverlässige Partnerin. Ein Mensch, der sich klar positioniert. Und Probleme anpackt, anstatt sie aufzuschieben. Sie liebt ihren Mann. Für sie gibt es kein Entweder-Oder. Was die Familie betrifft, gilt für sie unbegrenzte Solidarität.

Die Kinder sagen unisono: „Papi, wenn das mit Mami nicht hinhaut, dann spenden wir.“

Angelika Grau ist voller Gottvertrauen. Sie hat keine Angst. „Ich habe den Zenit meines Lebens überschritten“, sagt sie. Sie weiß, dass es für sie nur diesen einen Weg gibt. Was die beiden nicht wissen, ist, wie unbequem der Weg bis zur OP ist. Was für sie von Anfang an klar ist, wird in langen Gesprächen mit Psychologen und Vertretern der Ehtik-Kommission der Hamburger Ärztekammer hinterfragt. Nichts wird ausgelassen. Stundenlang muss sich der Erkrankte zu seinen familiären Verhältnissen und Beziehungen äußern. Auch die Spenderin muss vieles erklären. Als „personal striping“, bezeichnet Cornelius Grau dieses Prozedere. Er weiß, dass es wichtig ist, kritisch zu sein. Dass sichergestellt werden muss, dass die Bereitschaft zur Lebendspende komplett frei und bedingungslos sein muss. Ein Akt der ausschließlich von Liebe, starkem Familienzusammenhang und Freundschaft getragen ist. Dennoch tut er sich schwer bei diesem Striptease.

Doch es gibt keine Alternative. Zwar steht Cornelius Grau auf der Organspendeliste von Eurotransplant. Aber er weiß, dass die Chance auf eine Spende gering ist. Die Zahlen machen hoffnungslos. Derzeit warten in Deutschland rund 11.000 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan, etwa 8000 auf eine Niere. Es warten etwa dreimal so viele Menschen auf eine neue Niere, wie Transplantate vermittelt werden können. Für Herz und Leber gilt: Einige Patienten müssen wegen schlechten Allgemeinzustandes von der Warteliste genommen werden, andere sterben, weil kein Organ rechtzeitig zur Verfügung steht.

Was in dieser belastenden Zeit zählt, ist, dass die Familie zusammenhält

Warten. Ins UKE fahren. Gespräche führen. Warten. Und warten. Das Ehepaar, das fest entschlossen ist, so schnell wie möglich die kranken Nieren durch eine Spende zu ersetzen, fühlt sich ausgebremst. Sie wissen, dass die intensiven Voruntersuchungen normalerweise sechs bis acht Monate dauern. Sie machen Druck. Auch, weil sich der Zustand von Cornelius Grau zunehmend verschlechtert. Und plötzlich sitzt da die Angst im Nacken. Die Angst, doch noch an die Dialyse zu müssen. Der 56-Jährige weiß, dass eine Blutwäsche sich negativ auf alles Weitere auswirken würde. Als die Werte bedrohlich werden, entscheiden die Ärzte, die OP vorzuziehen. Am 31. August um 7 Uhr wird Angelika Grau eine ihrer Nieren entnommen. Drei Stunden später pflanzen die Ärzte das gesunde Organ in den Körper ihres Mannes. Die Niere fängt an zu arbeiten.

Sieben Tage bleiben die beiden in der Klinik. Seit ihrer Vorstellung im UKE Ende Juni sind 71 Tage vergangen bis zur Entlassung aus der Klinik. Es ist die faszinierende Leistung der Ärzte, die Cornelius Grau tief berührt. Und es ist der Zusammenhalt der Familie in jener belastenden Zeit. Die Kinder, die längst in anderen Städten leben, arbeiten und studieren, sind nach Hause gekommen. Sie sind einfach da. Das zählt. Während der OP und danach, als die lange Zeit der Reha beginnt. Ein halbes Jahr dauert es, bis Angelika Grau wieder an das Leistungsniveau von vor der OP anknüpfen kann.

Es hat sich vieles verändert durch diese Erfahrung. „Man räumt mit seinem Leben auf“, sagt Angelika Grau. „Und man setzt sich mit dem Thema Tod auseinander.“ Nichts ist mehr wie es vorher war. „Man muss das Drehbuch des Lebens neu schreiben“, sagt Cornelius Grau. Er hat seinen Rhythmus verändert. Dinge von der To-do-Liste gestrichen und das Stressgeschäft in der Firma abgeklemmt. Er muss Tabletten nehmen, damit das neue Organ nicht abgestoßen wird. Und damit leben, dass das Gemüt dünnhäutiger wird, die Stimmung öfter mal schwankt.

Die Prioritäten haben sich geändert. Es ist nicht mehr wichtig, 1000 Kilometer am Tag für das Geschäft zurückzulegen. Stattdessen werden anstrengende Meetings auf zwei Stunden beschränkt. Vieles erledigt der Unternehmer von zu Hause aus. Wenn er die Chance hat, spricht er öffentlich über seine Erfahrungen. Er möchte anderen die Angst nehmen vor einer Lebendspende, die präoperative Begleitung der Menschen verbessern. „Betroffene brauchen ein Forum, in dem ihnen geholfen werden kann. Sie brauchen Coaches, die sie mit ihren Fragen ansprechen können. Und zwar vor einer Operation“, sagt Cornelius Grau. Als Transplantationskandidat müsse man die Angst, später abgestempelt zu werden, überwinden. Auch Angelika Grau, die sich im Beirat der Stiftung Mammazentrum Hamburg engagiert, will aufklären. Sie wünscht sich, dass offener über Organspende geredet wird, auch über die postmortale.

Vor Kurzem hat Cornelius Grau bei den 9. Weltmeisterschaften für Transplantierte in La Chapelle D’Abondance teilgenommen. Die Begegnung mit den Teilnehmern hat ihn tief beeindruckt. Die Dankbarkeit für das geschenkte Leben war bei jedem zu spüren. Der Hamburger holte mit der deutschen Mannschaft im Slalom die Bronzemedaille. Wäre er als Letzter ins Ziel gekommen, er hätte sich genauso als Sieger gefühlt.