Shkodran Ukehaxhaj war Anführer einer Gang. Heute zeigt er Jugendlichen, wie sie Streit schlichten können, ohne zuzuschlagen.

Die Wohnung im Karoviertel war meistens dunkel. Seine Mutter hatte fast immer die Vorhänge zugezogen. Damit niemand hineinschauen konnte. Sein Zuhause war für Skuddi dennoch ein heller Ort. Ein Ort, an dem er geliebt wurde. Draußen, auf der Straße war das anders. Hier war er auf sich allein gestellt, wurde verfolgt und verprügelt. Manchmal wünschte er sich nachts, nicht mehr aufzuwachen. Nicht mehr rauszumüssen auf die Straße, wo nichts auf ihn wartete als Gewalt.

Skuddi, der eigentlich Shkodran Ukehaxhaj heißt, kommt aus dem Kosovo. Seine Eltern flüchteten in den 70ern nach Deutschland. 1979 wurde Skuddi geboren. Er und sein Bruder Luan waren Außenseiter im Viertel. Weil sie einen Vater hatten, der politisch verfolgt wurde. Und die Jungs eine andere Sprache sprachen als die Türken und Sinti und Roma im Viertel. Sie waren regelmäßig in Prügeleien verwickelt.

Heute, knapp 20 Jahre später, sagt der 33-Jährige: "Gewalt ist keine Lösung." Aus dem Jungen mit dem Hass im Bauch ist ein Mann geworden, der Jugendlichen hilft, mit ihren Problemen umzugehen. Zweimal in der Woche macht er mit den Kindern und Jugendlichen im Bürgerhaus der Lenzsiedlung Boxtraining. Er hilft ihnen, Selbstvertrauen zu gewinnen, zeigt ihnen Disziplin und Respekt. "Die Kids erleben, dass sie etwas können. Dass sie wahrgenommen werden", sagt Skuddi. Das nämlich sei bei den meisten zu Hause nicht der Fall. Sie wachsen in Familien auf, in denen es keine Liebe gibt. Sie werden von ihren Eltern geprügelt.

Bei Skuddi war das anders. Die Gewalt, die sein Leben bestimmte, kam von der Straße. Es gibt Szenen, die Skuddi nicht vergessen kann. Wenn er sie schildert, ist sie plötzlich wieder da, diese Mischung aus Erniedrigung und Angst, die er in seiner Kindheit erfahren musste. "Einmal hat sich mein Bruder schützend vor mich gestellt, als wieder ein paar Schläger auf uns zukamen. Sie schlugen Luan an die Stirn, sein Kopf prallte zurück gegen meine Stirn. Und ich knallte mit dem Hinterkopf an eine Mauer. Die anderen haben uns ausgelacht." Irgendwann kommt der Tag, "an dem der Blutdurst größer ist als die Angst", wie Skuddi es beschreibt. "Wir haben uns den Anführer der Gang geschnappt und zugeschlagen", erinnert er sich. Ihr Gegenüber geht zu Boden. Es gibt Ärger von der Schulleitung. Aber von da an sind die Fronten geklärt.

Mit 15 lernt Skuddi seine Freundin Sibel kennen. Sie ist zwei Jahre älter als er, wohnt in der Lenzsiedlung, will Jura studieren. Skuddi hat keine Ahnung, was er machen möchte. Er hängt in der Siedlung rum, ist Anführer einer Jungsgruppe, die sich regelmäßig mit anderen Gangs prügelt. Oft trifft sich die Gang im Bürgerhaus. Auch, um dort einfach nur rumzustänkern. Doch die Verantwortlichen dort stempeln die Jugendlichen nicht ab. Sie wollen ihnen helfen, anstatt sie zu verurteilen.

Irgendwann wird Skuddi von der Leiterin angesprochen, ob er als Jugendbetreuer im Haus arbeiten wolle. Skuddi macht den Jugendgruppenleiterschein, übernimmt Verantwortung und spürt, dass er etwas bewegen kann. Er beginnt, mit den Jugendlichen Filme zu drehen, fährt mit ihnen ins Ausland, trainiert sie im Boxen, was zur Folge hat, dass sich die Jugendlichen nicht mehr draußen beweisen müssen.

2012 absolvierte der Kosovo-Albaner, der inzwischen selbst Vater ist und eine Anstellung in einer Softwarefirma hat, eine Ausbildung zum Mediator. Das Projekt ist aus der Kooperation des Vereins Lenzsiedlung mit dem Rauhen Haus entstanden. Seitdem schlichtet er Auseinandersetzungen und bildet andere zu "kleinen Mediatoren" aus, die ihrerseits Konflikte beilegen können. "Wir müssen den Jugendlichen helfen, sich selbst zu helfen", sagt Skuddi. "Wir dürfen sie mit ihren Problemen nicht alleinlassen."

Weil es sonst nur eine Frage der Zeit ist, bis wieder einer keinen Ausweg mehr sieht. So wie damals, im Juni 2008, als ein Zwölfjähriger an der Julius-Vosseler-Straße von einem Hochhaus in den Tod sprang. Skuddi kann die Verzweiflung nachvollziehen, die dieser Junge gespürt haben muss. Er kennt das Kind nicht, kann nur spekulieren. Aber vielleicht wäre es anders gekommen, wenn sich jemand für das Kind interessiert hätte.