Der zweijährige Tim Schüller leidet an dem seltenen Apert-Syndrom, seine Familie pendelt zwischen Ärzten und Alltag.

Sein Kopf hat eine Ballonform, die Stirn ist sehr breit, die Augen stehen unter der Brille hervor, sein Mund ist meistens geöffnet. Tim Schüller sieht ein wenig so aus wie das Bild in einem Zerrspiegel. Wenn der Zweijährige auf den vielen Fotos im Hause der Familie neben seinen Eltern Nadine und Andreas und seinem achtjährigen Bruder Finn steht, fällt er sofort auf. Tim leidet am Apert-Syndrom, einer seltenen genetischen Veränderung. Geistig ist er gesund, doch seine Schädelplatten und Finger sind von Geburt an zusammengewachsen.

Tims Eltern sitzen auf ihrer Terrasse und beobachten die beiden Jungs beim Fußballspielen. Tim ist ein echter Charmeur, auf jeden geht er unbefangen zu. Er hat dieses Talent, Menschen für sich zu gewinnen. Bis auf den Verband um Tims Hand macht alles den Anschein der perfekten Familienidylle, normal eben, trotz der Krankheit.

Doch diese Normalität ist hart erarbeitet. Der kleine Junge muss ständig operiert werden bis er ausgewachsen ist, seine Eltern pendeln zwischen ihrem Haus bei Hannover, Hamburg und München hin und her, alle paar Wochen, trotz Berufstätigkeit.

Andreas Schüller ist Polizist. Für den Beamtenstatus und die flexiblen Schichtpläne sei er nun äußerst dankbar, erzählt er. Andere Eltern hätten größere Schwierigkeiten, die Termine für ihr behindertes Kind zu koordinieren. Nadine Schüller arbeitet als Bürokauffrau in Teilzeit. Mehr zu arbeiten ginge auch nicht, sagt sie, denn schon jetzt müsse sie sich oft genug wegen Arztterminen freinehmen. Furchtbar seien besonders Tims Schädel-Operationen in den ersten Lebensmonaten gewesen, erzählt die Mutter und zeigt Bilder. Der kleine Kopf ist kahl darauf, mit Nähten übersät. "Zum Glück haben wir das hinter uns", sagt Nadine Schüller. Sie und ihr Mann sind ein attraktives Paar in den Dreißigern, doch wenn sie jetzt lächeln, zeichnen sich Falten in ihre Stirn. "Alles müssen wir für Tim erkämpfen", erzählt Nadine Schüller. "Von der Krankenversorgung bis zum Kindergarten. Auf wichtige Termine im Krankenhaus müssen wir manchmal ein ganzes Jahr lang warten. Schwierigkeiten gibt es ansonsten vor allem wegen Unwissenheit oder Ignoranz. Kaum jemand kennt das Syndrom."

Allein den Behindertenstatus mit den entsprechenden Vergünstigungen für Tim zu bekommen war deshalb ein Problem. "Den Kindergarten mussten wir mühsam überreden, damit er Tim aufnimmt, bloß weil er anders aussieht", sagt der Vater. Dabei ist Tim geistig vollkommen gesund. "Kinder stören sich nie an seinem Äußeren, wenn man offen mit der Behinderung umgeht. Ganz im Gegensatz zu manchen Erwachsenen", sagt die Mutter.

Tims Eltern geben sich kämpferisch, denn sie wissen, dass sich die Anstrengung lohnt. Nur rund 400 Personen mit dem Apert-Syndrom gibt es in Deutschland, viele von ihnen können ein fast normales Leben führen, auf normale Schulen gehen, Freunde finden, glücklich werden. Wenn man ihnen die Chance gibt, sagen die Schüllers.

Zurzeit werden Tims zusammengewachsene Finger in der Kinderklinik Wilhelmstift in Hamburg getrennt und gerichtet. Kinder mit dem Apert-Syndrom werden hier behandelt, die Kliniken in Hamburg und München sind eine der wenigen Anlaufstellen für die Betroffenen. Wenn man das Klinikgelände Wilhelmstift betritt, erinnert wenig an ein normales Krankenhaus - zum Glück, wie Schüllers finden. Das Rot der Backsteinhäuser ist warm, die Wiesen und Spielplätze auf dem Gelände wirken einladend. Trotzdem, als Tim das Behandlungszimmer erkennt, schluchzt er und will weglaufen, er klammert sich fest an seine Mutter.

"Tim weiß, was kommt", sagt Andreas Schüller bedrückt. Der kleine Patient sitzt auf dem Schoß seiner Mutter, die Krankenschwester lenkt ihn ab, ein Handgriff und der Arzt zieht einen langen Draht aus Tims Daumen. Der Junge weint. Sein Vater steht daneben und schaudert. In solchen Momenten ist die gewünschte Normalität weit weg.

Zurück auf dem Flur entdeckt Tim eine knallgelbe Kiste mit Spielzeugautos. Die Kinder drängeln sich davor, Tim ist mittendrin. Oldtimer, Lastwagen und Sportwagen, schon arg verbeult, sind schnell vergriffen. Nur "Lüla", ein Polizeiauto ist nicht dabei, die Kinder sind einvernehmlich enttäuscht.

"Jungs und Autos", sagt eine Mutter lächelnd, während sie das Knäuel aus Kindern beim einträchtigen Spielen beobachtet. "Die Kleinen sind doch alle gleich." Ihr Sohn gibt Tim wie selbstverständlich sein Auto, eine freundschaftliche Geste, von Berührungsangst keine Spur. Tims Eltern stehen daneben und lächeln, jetzt umspielen die Fältchen ihre Augen. Denn so einfach kann sie sein, die Normalität.