Durch Firmenbesuche bekommen Grundschüler einen Einblick in die Arbeitswelt. Organisiert werden diese Besuche von der Stiftung Kinderjahre.

Manchmal bleibt sein Platz am Montagmorgen leer. Manchmal kommt der Jugendliche eine Stunde später in die Schule. Es gibt Tage, da spricht er kaum. Und wenn, dann kommen Sätze wie: "Lass mich in Ruhe." Oder: "Alter, was willst du?" Und dann gibt es Vormittage, da ist der 13-Jährige ein ganz normaler Schüler, vergisst die alkoholabhängige Mutter zu Hause, die keine Arbeit hat und der alles egal ist. Dann macht er mit im Unterricht. In zwei Jahren wird der Jugendliche die Schule beenden. Was er dann will? Weiß er nicht. Und ob ihn jemand will? Ist auch nicht klar. Weil er wesentliche Kriterien zur Ausbildungsfähigkeit nicht mitbringt: Pünktlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit. Der Jugendliche hat kein Vorbild in der Familie. Das Wort "Perspektiven" kann er nicht einmal richtig buchstabieren. Und das Bedrückende ist: Dieser Schüler ist kein Einzelfall.

"Es gibt unzählige junge Menschen, die genauso aufwachsen. Die auf sich allein gestellt sind. Deren Eltern sich kaum kümmern. Ihre Kinder nicht an die Hand nehmen, weil sie selbst zu schwach sind", sagt Hannelore Lay. Stundenlang kann die Vorsitzende der Stiftung Kinderjahre von solchen "Fällen" erzählen. Viele hat sie persönlich kennengelernt, viele von ihnen begleitet. Versucht zu helfen, wo es möglich war. Vor acht Jahren gründete sie dazu gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang die Stiftung Kinderjahre. Die setzt sich für mehr Chancen für sozial und emotional benachteiligte Kinder ein. "Denn nur Kinder, deren körperliche und psychische Grundbedürfnisse befriedigt sind, können sich positiv entwickeln", sagt Hannelore Lay. Es gehe darum, Kinder rechtzeitig in eine Richtung zu führen, die ihnen hilft.

Dazu dient das Projekt "LearningKids", dessen Ziel es ist, Kindern einen positiven Zugang zur Unternehmens- und Wirtschaftswelt zu vermitteln. Das Projekt, das Preisträger der Initiative "Anstiften! 50 Impulse für Hamburg" der Körberstiftung ist, richtet sich an Grundschüler, die auf diese Weise Vorbilder erleben, Produktionsabläufe erfahren und Engagement lernen sollen. "Auf diese Weise versuchen wir den Kreislauf an mangelnder Bildungschance und der sozialen Abhängigkeit zu unterbrechen", sagt Hannelore Lay. Die Kinder sollen die Chance auf ein unabhängiges Leben entdecken.

Einer der Kooperationspartner - neben Beiersdorf, dem Hamburger Abendblatt, Gut Wulksfelde oder den Asklepios-Kliniken - ist das Steigenberger Hotel Treudelberg. Regelmäßig dürfen hier Grundschüler hinter die Kulissen der Hotellerie schauen. So wie Jasmin, Monika, Christopher und Saki. Die Schüler gehen in die vierte Klasse der Schule Beim Pachthof. An diesem Donnerstagmorgen verlegen sie ihren Unterricht in das Fünf-Sterne-Haus an der Lemsahler Landstraße. Statt Mathe gibt es Nachhilfe im Kopfkissenbeziehen und Kartoffelnschälen. Unter fachkundiger Anleitung von Marketing-Chefin Valena Müller lernen die 15 Grundschüler Lilien aus Stoff zu falten und dass der Gast König ist. "Sie lernen hier außerdem, dass es Berufe gibt, die sie auch ohne Abitur erreichen können", sagt Lehrerin Iris Brückner, die durch den Hotelbesuch Schwellenängste abbauen und das Selbstvertrauen der Schüler stärken möchte.

So wie das von Jasmin. Sie ist neun Jahre alt. Und weiß gar nicht so genau, was ihre Eltern machen. Einen Berufswunsch hat sie auch noch nicht. Jetzt steht sie mit staunenden Augen in der Kühlung des Hotels. Vor ihr türmen sich die Tortenböden, Erdbeeren und Eier. Anschließend dürfen die Schüler Kartoffeln schälen. Sie schaffen zwei Kilo. 50 müssten es am Tag sein, sagt Sous-Chef Thomas Schoof.

Zweieinhalb Stunden dauert der Crashkursus Hotelfach für die Grundschüler. Jasmin, Laura und Cemnet sind sich einig: Sie wollen Kellnerin werden. "Weil das cool ist. Und man so schöne Servietten falten kann." Einen ersten Kontakt haben sie schon. Wenn sie möchten, dürfen sie in ein paar Jahren wiederkommen zum Schülerpraktikum, verspricht Hoteldirektorin Silke Macke, die das Projekt "LearningKids" der Stiftung Kinderjahre auch deshalb unterstützt, weil in ihrer Branche Nachwuchs immer ein Thema ist.

Für Hannelore Lay, die gerne noch mehr Firmen als Kooperationparter für das Projekt gewinnen würde, geht es um mehr: "Dass jedes Talent in unserer Gesellschaft gebraucht wird, ist nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine des gesellschaftlichen Anstands."