Humanitäre Mission: Statt Urlaub zu machen, reisen diese Ärzte in Entwicklungsländer. Sie retten dort Kinderleben und bilden Mediziner aus.

Eine Klinik im Westen Sibiriens bei Kemorowo. Zehn Flugstunden von Hamburg entfernt. Im Herzzentrum des städtischen Krankenhauses liegt ein etwa sechs Monate altes Baby unter einem grünen Laken. Durch einen Schlauch in der Nase wird das Kind mit Nahrung versorgt. Der Schnitt über dem Herzen ist mit einem Verband abgedeckt. Neben dem Bett steht ein Arzt aus Deutschland: Professor Ali Dodge-Khatami. Er nimmt die Hand des Kindes, sie ist warm und gut durchblutet. Der Arzt ist zufrieden.

Kemorowo gehört zu den Regionen mit schlechter medizinischer Versorgung. Erkrankte Babys hatten bislang kaum Chancen. Weil vor allem die Ärzte vor Ort nicht genügend ausgebildet sind. Um das zu ändern, ist der Kinderherzchirurg schon mehrfach im Rahmen einer humanitären Mission der gemeinnützigen US-Stiftung International Children's Heart Foundation (ICHF) nach Kemorowo gereist. Der Herzchirurg ist Teil eines internationalen Teams, das aus rund 15 Spezialisten, darunter Chirurgen, Anästhesisten und OP-Schwestern, besteht und unentgeltlich im Einsatz ist. Zwei Wochen ist der Arzt vor Ort, operiert täglich zwei Kinder. "Wir wollen die kleinen Patienten retten und den Chirurgen vor Ort in kurzer Zeit so viel Know-how wie möglich vermitteln", sagt Dodge-Khatami. "So können diese auch nach unserer Abreise schwierigere Eingriffe bei Babys und Kleinkindern meistern." Rund 30 Kinder wurden dem Team bei seinem letzten Einsatz in Kemorowo vorgestellt. Sie waren zum Teil in einem bedrohlichen Zustand. "Die Hände waren blau, die Kinder unterernährt", sagt der 44-Jährige. Und viele hatten einen Herzfehler, für den innovative OP-Techniken notwendig waren, die das junge sibirische Team bislang nicht kannte.

Ali Dodge-Khatami erklärt während der Operation seinen sibirischen Kollegen jeden Handgriff. Inzwischen können sie diese Eingriffe mit mittlerem Schweregrad allein durchführen. Die Ratschläge werden von Mission zu Mission weniger. Die Erfolge mehr. In diesem Jahr wird Dodge-Khatami deshalb im Rahmen seines Engagements für die ICHF in andere Länder reisen. Es geht nach Tegucigalpa, Honduras, und im September nach Charkow in der Ukraine. In Kemorowo kommen die Ärzte jetzt ganz gut ohne Hilfe zurecht.

3814 Kilometer weiter südlich engagieren sich ebenfalls zwei Hamburger. Thomas Kreusch, 60, und Uwe Thiede, 56, geben den Kindern in Indien ihr Lächeln zurück. Anju ist eines von ihnen. Ihr Gesicht sieht aus, als hätte es der Blitz in zwei Teile geteilt. Der Spalt zieht sich von den Lippen, den Gaumen hinauf bis hoch in die Nase. Anju lebt damit seit ihrer Geburt. Das kleine Mädchen ist sechs Jahre alt. Jetzt wird es endlich operiert.

Einmal im Jahr, Ende September, wenn der Monsun vorüber ist, fahren die beiden Ärzte in die indische Kleinstadt Padhar im Bundesstaat Madhya Pradesh. Ziel ihrer Arbeit ist es nicht nur, die Familien aufzuklären und die Betroffenen kostenlos zu operieren, sondern vor allem auch, die Ärzte vor Ort auszubilden. Denn während in Deutschland Kinder mit Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten in dafür spezialisierten Zentren von Geburt an betreut werden, herrscht in den ländlichen Regionen Indiens Unwissen über das Entstehen dieser Fehlbildung. "Häufig wird sie als Strafe für Fehlverhalten früherer Generationen angesehen. Diese Kinder werden sozial ausgegrenzt", sagt Thomas Kreusch. Und da sie mit dieser Fehlbildung kaum essen können, sind sie untergewichtig, sterben an banalen Infekten. Für Kreusch ein unerträglicher Gedanke.

Es begann mit einem Praktikum 1976 in Indien. Damals, als junger Zahnmedizinstudent, ging Thomas Kreusch zum ersten Mal nach Padhar und zog in acht Wochen 250 Zähne. Heute, mehr als 30 Jahre später, ist der Chef der Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie in der Asklepios-Klinik Nord-Heidberg noch immer in medizinischer Mission unterwegs. Begleitet wird der Arzt von einem Team aus Chirurgen, Anästhesisten, Pflegern und Kinderärzten. Einer davon ist sein Kollege Uwe Thiede, leitender Arzt der Neonatologie. In 18 Einsätzen haben sie inzwischen 1389 Kinder operiert. 1389-mal den Betroffenen ihre Identität wiedergegeben. Wenn das europäische Chirurgenteam anreist, machen sich die Menschen mit ihren gespaltenen Gesichtern auf den Weg nach Padhar. Sie kommen aus allen Landesteilen, belegen jedes Bett, jede Nische des 240-Betten-Krankenhauses. "Wir operieren die Patienten - und nach sieben Tagen gehen diese geheilt nach Hause", sagt Kreusch.

Bis heute konnten die Hamburger in Padhar eine Kinderintensivstation, einen OP-Trakt, einen Aufwachraum, einen Operationssaal sowie eine Schwesternschule einrichten. Die europäischen Ärzte arbeiten unentgeltlich in ihrer Urlaubszeit. Was sie dafür zurückbekommen? Dankbarkeit, neue Freunde und prägende Eindrücke.