Sie haben Migräne? Denken Sie positiv, dann hat der Kopfschmerz keine Chance! Ihr Geld reicht nicht aus? Sehen Sie lieber nach vorne! Ein Familienmitglied ist gestorben? Das Leben muss doch weitergehen!

In der Kürze wirkt diese Darstellung gewiss zugespitzt, doch illustriert sie eine weitverbreitete Einstellung: den Zwang zum positiven Denken. Längst ist es gängiges Verhalten, trauernden oder kranken Menschen das Wort abzuschneiden und ihnen - ungebeten - positive Gefühle anzutragen. Dabei bekommen die Gespräche leicht einen drohenden Unterton: Wenn du so rumjammerst, brauchst du dich nicht zu wundern. Bei deiner inneren Einstellung muss der Krebs ja weiterwuchern. Und außerdem werde ich selber gleich ganz krank von deinen Schilderungen.

Von einem wahren Positivitätskult spricht die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich in ihrem Buch "Smile or Die" ("lächle oder stirb"). Darin rechnet sie ab mit einer Diktatur des Optimismus, der die ganze Gesellschaft erfasst hat und den Einzelnen zu ersticken droht. Ehrenreich berichtet aus eigener Erfahrung: Sie selbst erkrankte an Krebs und musste sich von ihren Freunden eine "negative Haltung" vorwerfen lassen. Auch Selbsthilfegruppen mit ihrer betont guten Laune und ihren rosaroten Ansteckschleifchen erlaubten ihr keine angemessene Verarbeitung der Tragödie. Ihr Fazit: Der Mensch braucht Raum für alle Gefühle, und Negatives gehört zum Leben. Ganz abgesehen davon, dass es auch einen Sinn hat.

Wie irrational der Mythos des positiven Denkens ist, zeigt eine groß angelegte Studie, deren Ergebnisse die Zeitschrift "Psychologie heute" unlängst vorstellte. Dabei ging es um die Frage, ob Krebs mit guten Gedanken geheilt werden könne. Oder ob umgekehrt eine "Krebspersönlichkeit" die Erkrankung mitverursache. Dazu werteten Wissenschaftler in einer Metastudie 26 Forschungsarbeiten aus. Ihr Fazit: Positives Denken verbessert nicht die Heilungschancen. Ob ein Patient fatalistisch ist oder sich Bestes einredet, macht keinen Unterschied für den Krankheitsverlauf und die Heilung.

Um eines klarzustellen: Natürlich tut positives Denken dem Immunsystem gut und hilft, mit Belastungen umzugehen - aber nur, wenn es von innen kommt, und nicht, wenn es ein aufgesetztes oder gar aufgenötigtes Muster ist. Die Autorin Ehrenreich wurde übrigens gesund: mit klassischer schulmedizinischer Behandlung.

Barbara Ehrenreich: "Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt". Kunstmann, 288 Seiten, 19,90 Euro.