Eine Weihnachtsgeschichte, die Lothar L. als Junge erlebt hat

Schneewinter 1947. Ein kleines Dorf im Norden Schleswig-Holsteins. Wir wohnten zu dritt: meine Mutter, meine Schwester und ich. Vorm Haus die Dorfstraße, gegenüber die Mühle und der Kaufmann, davor ein kleiner Platz mit einer großen Linde. Alles war tief verschneit. "Wohnen", das bedeutete "Einquartierung". Der Hauswirt wäre uns am liebsten wieder losgeworden. Wohnen: ein winziger Flur und ein Zimmer für Wohnen, Kochen (der "Kanonenofen" war gleichzeitig Herd und Heizung), Schlafen, Waschen - zusammen 14 qm.

Am Morgen des 24. Dezember erzählte uns meine Mutter traurig, dass sie von Heinz, dem ältesten Sohn, geträumt habe: Heinz habe unter der Linde Schnee geschaufelt, ihr zunächst den Rücken zugewandt. Dann habe er herübergeschaut, und als sie unsicher fragte: "Heinz, du?", habe er geantwortet: "Ja, ich bin's, Mutter, komm, ich habe etwas für dich!" Dann sei sie wach geworden. Zur Erklärung: Heinz war im August 1944 im heutigen Estland gefallen, also schon über drei Jahre tot. - Da es der Morgen des 24. Dezember war und wir fast nichts mehr zu essen hatten, wollte meine Mutter versuchen, beim Kaufmann (sehr freundliche Eheleute) ein paar Lebensmittel ohne Lebensmittelmarken "auf Pump" zu bekommen. Auf den wenigen Schritten dorthin musste sie an der Stelle vorbei, an der sie im Traum ihren gefallenen Sohn gesehen hatte. Und als meine Mutter dort auf den Boden blickte, fand sie eine prall gefüllte Brieftasche mit Lebensmittelmarken und Bargeld! Ehrlich, wie sie war, brachte sie die Brieftasche sofort zum Bürgermeister, wo sie auch auf dessen verzweifelten Sekretär traf. Der hatte die Brieftasche gerade vermisst und freute sich sehr, diese wohlgefüllt zurückzuerhalten. Und er versprach einen Finderlohn, meine Mutter solle man nach Hause gehen.

Er hielt sein Versprechen: Zwei Stunden später stand er mit einem großen Karton voller Lebensmittel vor der Tür - Weihnachten und der Rest des Monats waren gesichert!