Einem Ort, der Kindheitsträume verkörpert und Kinder zu Theaterbesuchern der Zukunft macht, droht die Schließung

Es ist ein Sonntagmorgen im Oktober, der für den fünf Jahre alten Jonathan unvergesslich bleibt. Elf Uhr am Morgen. Der Saal ist voll besetzt. Ungeduldig scharren die Kinder mit den Füßen. Dann geht das Licht aus. Der Vorhang öffnet sich. Und plötzlich wird es mucksmäuschenstill. Das Theater beginnt. Die Puppen spielen. Und die Kinder lassen sich verzaubern. Das ist heute so. Das war vor 60 Jahren schon so im Hamburger Puppentheater am Flachsland. Einem Ort, der "Kindheitsträume verkörpert und Kinder zu interessierten Theaterbesuchern der Zukunft macht", wie Maike Mittag vom Fachverband Theater in Schulen es treffend ausdrückt.

Doch der Traum könnte bald ausgeträumt sein. Der beliebten und über Hamburgs Grenzen hinaus bekannten Institution droht die Schließung. Der Bezirk Nord, der die Räume von der Sozialbehörde angemietet hatte, hat dem Theater die Räume im Haus Flachsland gekündigt. Das dort ansässige Haus der Jugend ist umgezogen. Das Theater, das den Saal mietfrei nutzen konnte, muss jetzt ebenfalls gehen.

Die Nachricht von der drohenden Schließung löste in der Stadt und Theaterszene, bei Pädagogen, Eltern und vor allem bei den Kindern eine Welle der Empörung aus. Innerhalb weniger Monate meldeten sich mehr als 5600 Hamburger auf der Internetplattform des Theaters zu Wort. Sie fordern einstimmig: "Ja, das Hamburger Puppentheater muss bleiben!"

Jetzt hat der Protest erste Wirkung gezeigt. Kulturbehörde, Sozialbehörde und das Bezirksamt Nord haben die Spielzeit für das Hamburger Puppentheater verlängert und zugesagt, die Kosten für den Theaterbetrieb im Haus Flachsland bis Ende April 2012 gemeinsam zu übernehmen. 24 000 Euro stellen sie zur Verfügung. "Mit dieser Entscheidung können wir die nächste Spielzeit planen", freut sich Peter Räcker vom Hamburger Puppentheater. "Und wir gewinnen Zeit, um eine langfristige Lösung zu finden."

Diese nämlich wollen im Grunde alle erreichen. Weil "das Puppentheater eine hervorragende Arbeit, sowohl kulturell als auch pädagogisch mit seinen zahlreichen Workshops und Seminaren leistet", wie Kultursenatorin Barbara Kisseler betont. Und so ist es selbstverständlich, dass ihre Behörde den Spielbetrieb auch im kommenden Jahr mit weiteren 20 000 Euro unterstützt.

Unklar aber bleibt, wo das Theater ab Mai 2012 spielen wird. Die Suche nach einer Alternative gestaltet sich schwierig. "Wir brauchen einen vier Meter hohen Saal, ein Foyer, Toiletten für die Kleinen, Räume für die Workshops und eine adäquate Verkehrsanbindung", sagt Peter Räcker. Außerdem müsse geklärt werden, wer die Miete künftig trägt. Die Behörde hatte das bislang abgelehnt. Allein aus den Einnahmen heraus aber lassen sich die Kosten nicht decken.

Am 4. November werden Peter Räcker und sein Kollege Detlef Wutschik im Rathaus noch einmal für den Verbleib im Haus Flachsland plädieren. Und darum bitten, dass jemand Geld für die Miete in die Hand nimmt. Damit das Thema öffentlich allgegenwärtig bleibt, haben die Mitglieder vom Hamburger Puppentheater an der Fassade ihrer Spielstätte in der Bramfelder Straße ein knallrotes Protestbanner angebracht. "Letzte Spielzeit? Das Puppentheater muss bleiben!" steht darauf.

Jonathan und die vielen Kinder, die am Sonntag im Theatersaal begeistert applaudierten, können diese Botschaft nicht verstehen. Für die kleinen Besucher ist es selbstverständlich, dass sie wiederkommen an diesen Ort des Staunens. Und zwar immer wieder.