Zu den schmerzlichsten Erfahrungen meiner Arbeit gehört die Unversöhnlichkeit so vieler Menschen unter uns - ihre Härte, ihre Verbitterung und Unverzeihlichkeit - oft wegen Lappalien, lange zurückliegenden Geschehnissen, großer Engherzigkeit. Ein bedrückendes Beispiel für mich ist der plötzliche Tod eines wohlhabenden Kaufmanns, ich traf ihn noch vor wenigen Wochen, wir hatten ein langes Gespräch, ein Gespräch, das mich noch lange bewegte. Er erzählte mir von seinen Kindern, dass er doch recht unglücklich sei, kein gutes Verhältnis zu ihnen zu haben, sie seien so ganz anders als er, hätten völlig andere Lebensplanungen, als er sie sich vorgestellt hatte. Keiner seiner zwei Söhne wollte in das schon von seinem Großvater aufgebaute, gut florierende Geschäft einsteigen. Und so sehe er nicht ein, dass sie einmal alles erben sollten. Er habe jetzt sein Vermögen in eine Stiftung eingebracht, das beruhige ihn sehr. Seine Söhne würden es nicht verstehen, aber sie hätten ja auch ihn nie verstanden.

Dieser Mann ist gestorben, ohne sich mit seinen Kindern auszusöhnen, seine Frau leidet sehr darunter, aber auch die Söhne, die so sehr auf ein versöhnliches Wort ihres Vaters gewartet haben. Und nun ist es zu spät.

Wenn ich auch nicht beurteilen kann, wer sich hier "schuldig" gemacht hat, so weiß ich doch, dass jeder Mensch, der in seiner Unversöhnlichkeit verharrt, seelisch zerfressen wird und weiterhin viel menschliches Leid heraufbeschwört.

Es gibt niemanden, der ohne Verletzungen und Schuldgefühle durchs Leben kommt. Aber jeder von uns hat die Möglichkeit zu vergeben, zu verzeihen und einen Neuanfang zu suchen, solange noch Zeit dafür ist. Es lohnt sich.

Es grüßt Sie herzlich

Renate Schneider