Häftlinge bilden in der Frauenvollzugsanstalt Hahnöfersand Welpen zu Blindenführhunden aus. Es ist ein bundesweit einzigartiges Projekt.

Hamburg. Kerstien springt mit Rose auf dem Rasen herum. Der Labrador-Welpe macht Sitz und Platz und erhält zur Belohnung jedes Mal ein Leckerli. Dann tobt er wieder los und läuft bis zu einem hohen Metallzaun. Weiter kommt er nicht. Sein Spielplatz befindet sich im Frauengefängnis Hahnöfersand. Auf der Marschinsel in der Elbe läuft seit acht Monaten ein bundesweit einzigartiges Projekt, das sich "Hundebande" nennt und von der Sozialpädagogin Manuela Maurer initiiert worden ist: Welpen werden von weiblichen Häftlingen zu Blindenführhunden ausgebildet.

Unter der Leitung der Hundetrainerin Nadja Steffen kümmern sich Kerstien und zwei weitere Mitgefangene rund um die Uhr um drei Welpen. "Als ich das erste Mal von dem Projekt gehört habe, dachte ich: Hunde im Knast - na, mal sehen, was das wird", sagt Kerstien. Die 38-jährige Hamburgerin hat sich nach einer Woche entschieden, mitzumachen. "Weil ich Verantwortung übernehmen wollte - und weil ich Tiere sehr gerne mag." Sie findet es "klasse", dass Rose vielleicht irgendwann einem blinden Menschen helfen kann, sich im Leben besser zurechtzufinden, "und dass ich so mit meiner Arbeit hier im Gefängnis der Gesellschaft etwas zurückgeben kann".

Die ersten Wochen waren hart. Der Labrador war "wie ein Baby", hat kaum gehorcht, dazu kam das Zusammenleben auf engstem Raum in ihrer zehn Quadratmeter großen Zelle. Einmal hat Rose unter dem Bett die Lebensmittelbestände entdeckt und aufgefressen - und sich dann die ganze Nacht entleert.

Nach monatelangem Training und unzähligen Streicheleinheiten sagt Kerstien, Rose habe ihr "sehr viel zurückgegeben". Und dass sich ein Hund "bei einer vernünftigen Erziehung eben ganz normal entwickelt". In Kerstiens Leben gab es diese Chance nicht. Sie ist bei Pflegeeltern aufgewachsen, wurde misshandelt, landete im Kinderheim. Sie schaffte den Realschulabschluss, zwei Ausbildungen und studierte dann Betriebswirtschaft.

Als innerhalb kurzer Zeit fünf ihr nahe stehende Menschen starben, fing sie an zu spielen. In der Spielhalle, im Kasino. Mit Betrügereien besorgte sie sich immer neues Geld. Sie verstieß gegen Bewährungsauflagen, ihre letzte Straftat beging sie im Mai 2008. Ein Jahr später wurde sie zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Kerstien landete im Maßregelvollzug in Ochsenzoll. Mithilfe einer Strafvollstreckungsänderung schaffte sie die Verlegung nach Hahnöfersand.

Rosemarie Höner-Wysk ist die Anstaltsleiterin im Frauenvollzug. Sie sagt, dass sich die Frauen durch die Arbeit mit den Hunden verändert haben. "Kerstien hat sich über das Projekt geöffnet. Sie zeigt viel mehr, was sie empfindet. Sie hat soziale Kompetenzen erworben und mehr Sicherheit im Umgang mit anderen Häftlingen."

Sie sei reflexionsfähig und zeige Bereitschaft, die eigene Ohnmacht zuzulassen. "Das wäre ohne das Projekt nicht möglich gewesen."

Was die Versorgung von Rose angehe, sei sie "uneingeschränkt zuverlässig". Vor allem habe sie jetzt wieder Mut, "trotz der riesigen Schuldensumme Pläne zu schmieden".

Kerstien ist eine zierliche Person mit blonden Haaren. Sie hat noch etliche Schulden, ihre Gläubiger angeschrieben und den Blick nach vorne gerichtet. Sie hat sich im Gefängnis in fünf Computerprogrammen weitergebildet und ein Jahr lang mit einer Therapeutin gearbeitet.

"Ich werde alles daransetzen, ein neues Leben zu beginnen", sagt sie und drückt Rose ganz fest an sich.