Wolfhagen Sobirey, Präsident des Landesmusikrates, fordert: Keine Kürzung des Musikunterrichts

Die Bildungsbehörde plant, den Musik- und Kunstunterricht an Hamburgs Schulen zu verringern. Wurden Musik und Kunst in den Grundschulen bisher in der Regel zweistündig pro Woche unterrichtet, soll künftig auch eine Stunde reichen. Mit den dadurch frei werdenden Stunden sollen neue Angebote finanziert werden: Englisch und Religion ab Klasse 1, das Fach Theater soll neu dazukommen, außerdem ein großer Stundenpool, mit dem die Schulen eigene Ideen realisieren können. "Aber müssen dafür der Musik- und Kunstunterricht zum 'Steinbruch' werden, wie Bildungssenator Ties Rabe noch als Oppositionspolitiker beklagt hatte?", fragt Professor Wolfhagen Sobirey, der Präsident des Landesmusikrats.

In seinem leidenschaftlichen Appell für den Musikunterricht führt der Experte weiter aus: "Kinder, die viel singen, entwickeln sich besser. Sie sind emotional ausgeglichener und durch das gemeinsame Musizieren besser in Kontakt mit anderen Menschen. Kinder gehen lieber in eine Schule, in der viel gesungen wird. Und die Bildungsbehörde Hamburg will den Musikunterricht kürzen?

Die Musikbegeisterung gehört zum Menschen. Das Ohr ist das erste Sinnesorgan, das fertig ist. Um die 26. Schwangerschaftswoche herum fangen die Ungeborenen zu hören an. Sie merken sich schon im Mutterleib kurze Melodien. Mit dem Singen beginnen wir, noch bevor wir zu sprechen anfangen. Das Singen ist Teil unserer Äußerungsmöglichkeiten, ist wie eine Sprache. Wie bei allen Sprachen wollen wir damit in der Kindheit beginnen. Singen ist ein Grundbedürfnis. Kinder nicht singen zu lassen ist fast so schlimm, als wenn man sie nicht sprechen ließe.

Im Gehirn der Neugeborenen sind viele Fähigkeiten angelegt. Alles, was in den ersten Lebensjahren nicht benutzt wird, stirbt ab, sagen die Hirnforscher. Kennen die Verantwortlichen der Bildungsbehörde diese Forschungsergebnisse? Wissen sie, dass Kinder geradezu einen Hunger auf Musik verspüren?

Die frühen Begegnungen sind die Lebensprägenden. Vor allem in den ersten Lebensjahren wird begründet, ob wir später selbst singen und musizieren oder uns nur berieseln lassen. Die prägenden Begegnungen finden in der Vorschulzeit statt, in der Kita und dann in der Grundschule. Und die Bildungsbehörde will den Musikunterricht der Grundschulen wieder reduzieren?

Es gibt auch eine politische Betrachtung. Hamburg will Musikstadt werden. Senat und Bürgerschaft haben eine 40-seitige Musikstadt-Drucksache beschlossen, in der es von Aussagen über die Notwendigkeit des Musikunterrichts nur so wimmelt. Hamburg setzt über eine halbe Milliarde Euro in Bewegung, um mit der Elbphilharmonie ein neues Musikzentrum zu bauen - und die Bildungsbehörde kürzt den Musikunterricht? Ist die Elbphilharmonie fertig, werden täglich über 2500 Konzerteintrittskarten zusätzlich zu verkaufen sein. Nur wer von Kindheit an mit Musik vertraut ist, geht später auch ins Konzert. 'Musik-Alarm!' kann es deshalb nur heißen."