Diagnose Demenz: Inge Jens spricht über ihr Leben mit ihrem kranken Mann Walter Jens

"Ich plane nicht. Jetzt ist jetzt, heute ist heute." Sachlich und unaufgeregt spricht Inge Jens über ihren Alltag. Die 84 Jahre alte Publizistin ist seit 60 Jahren mit Walter Jens verheiratet, dem wortgewaltigen Hamburger Professor in Tübingen. Doch den fast 88-Jährigen hat die Sprache verlassen: Walter Jens leidet an Demenz, erkennt seine Familie nicht mehr. Und Inge Jens pflegt ihren Mann.

Zuerst sei sie wütend und aggressiv gewesen, als sie vor mehr als fünf Jahren gemerkt habe, dass sich der vertraute Gefährte verändere, erzählt Inge Jens bei einer Veranstaltung der Körber-Stiftung im Bergedorfer Haus im Park. "Das war falsch, aber verständlich. Es bricht der Mensch und Partner weg, mit dem ich über Jahre gearbeitet habe und verbunden bin." Seit Ende 2006 gibt es keine gemeinsamen Lesungen mehr, die letzten Filmaufnahmen sind zwei Jahre alt. "Als er bei Signierstunden nicht mehr seinen Namen schreiben konnte, war es genug."

Inge Jens geht offensiv mit der Krankheit um. "Es ist ein Leiden, für das es keine Heilung gibt. Und Prominenz schützt vor Schicksalsschlägen nicht." Und weil sie weiß, dass sie mehr Gehör bei diesem Thema findet als die vielen Namenlosen, die Familienmitglieder versorgen, teilt sie sich mit. "Bisher stehen die Kranken im Mittelpunkt, aber die pflegenden Angehörigen dürfen darüber nicht vergessen werden. Auch die muss man fragen, wie es ihnen geht." Bei ihr habe das eine Ärztin ihres Mannes angesprochen, als der schon einige Zeit krank gewesen sei. Und noch etwas ist Inge Jens wichtig: "Man braucht Freunde, mit denen man über alles reden kann, die einen zum Weitermachen bewegen und anhalten, auch mal an sich zu denken."

Die Literatin hadert aber nicht. "Ich frage nicht, warum es ausgerechnet uns getroffen hat. Dann müsste ich ja auch fragen, warum wir mehr als 50 wunderbare gemeinsame Jahre gehabt haben. Und auf beides gibt es keine Antwort."

Ein Paar aus einer bäuerlichen Großfamilie in der Nähe von Tübingen hilft Inge Jens bei der Pflege ihres Mannes. "Die nehmen meinen Mann nachmittags mit auf den Bauernhof. Da sind viele Menschen und Tiere, dort fühlt er sich wohl. Walter weiß nicht, wie krank er ist, und das ist gut so." Mittlerweile übernachte das Paar immer häufiger im Hause Jens, damit sie durchschlafen könne, sagt die 84-Jährige. "Ich muss mit meinen Kräften haushalten, denn ich kann mich nur gut um meinen Mann kümmern, wenn es auch mir gut geht."

Deshalb geht Inge Jens ein paar Tage im Monat auf Reisen, liest aus ihren Büchern rund um die Familie von Thomas Mann und erzählt in ihrem Werk "Unvollständige Erinnerungen" aus ihrem langen Leben mit Walter Jens. "Das sind wohltuende Atempausen. Ich treffe viele nette Leute und auch Menschen mit dem gleichen Schicksal." Ein aktuelles Projekt führt sie regelmäßig in ihre Geburtsstadt Hamburg. "Uwe Naumann vom Rowohlt-Verlag hat mich gebeten, mit ihm zusammen den Briefwechsel zwischen Heinrich und Klaus Mann zu editieren." Das Buch erscheint im Sommer.