Anne D. ist verzweifelt, ihr Mann eröffnete ihr, transsexuell zu sein. Sie weiß nicht, wie es weitergehen soll.

Ich bitte Sie, meinen Hilferuf zu veröffentlichen. Ich habe den Kampf um meinen Mann verloren und weiß nicht, wie es weitergehen soll.

Mein Mann macht eine Entwicklung zum Transsexuellen durch. Zu einer gemeinsamen Therapie war er erst bereit, als er den Grund für meine eigene Therapie - erhebliche sexuelle Deviation (Abweichung) des Partners - erfuhr. Gleich nach seiner ersten Sitzung erklärte er sich als transsexuell, was er vorher strikt von sich gewiesen hatte. Dann erklärte er mir, sich von mir und unserem Jungen trennen zu wollen. Seine Worte: Ich habe keine Kraft und Lust mehr, mir über unsere Ehe Gedanken zu machen.

Er zog aus. Wochen später schrieb er eine E-Mail, unser Austausch lief nur noch darüber, dass er wieder zu uns kommen wolle, damit wir wieder eine richtige Familie würden.

Ich weiß, dass die meisten dieser Männer versuchen ihre Partnerin oder Familie nicht zu verlieren. Was mich besonders verletzt, ist nicht die Tatsache seiner Sinnsuche, sondern die Art, mich immer wieder vor vollendete Tatsachen zu stellen und keine Gespräche zu führen. Dieses Ausleben von Egoismus, so sehe ich es, geht doch immer zulasten der Partnerin. Vollends verwirrt hat mich, dass mein Mann jetzt fast jedes Wochenende nach Hause kommt und von Dingen wie Gartengestaltung oder Geburtstagsparty für unseren Sohn spricht.

Ich muss meinen eigenen Weg gehen und das Wir-Denken aufgeben, was mir sehr schwerfällt, da ich meinen Mann immer noch liebe und, wie auch unser 13-jähriger Sohn, noch einen Rest Hoffnung hege.

Wo finde ich Rat und Menschen, die mein Schicksal teilen? Anne D., 51

Die Antwort gibt Dr. Wilhelm F. Preuss, der als Genderspezialist am UKE, Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, transsexuelle Frauen und Männer behandelt und sie auf ihrem Weg begleitet (Rollenwechsel, Indikation für Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen, postoperative Konsolidierung):

Die meisten Frauen und Männer fühlen sich mit ihren weiblichen oder männlichen Geschlechtsmerkmalen subjektiv wohl. Das ist bei transsexuellen Frauen und Männern nicht so. Sie erleben quälende Zustände der körperlichen Unstimmigkeit, die man psychotherapeutisch nicht auflösen kann. Sie fühlen sich seelisch dem anderen Geschlecht zugehörig, also demjenigen Geschlecht, dessen körperliche Geschlechtsmerkmale sie gerade nicht haben: Sie fühlen sich im falschen Körper.

Es bedeutet für eine Familie eine große Belastung, wenn ein Ehemann beziehungsweise ein Familienvater sich als transsexuell outet und sich auf den Weg macht, die Rolle zu wechseln und sich einer geschlechtsangleichenden Behandlung zu unterziehen.

Wie diese Belastungen bewältigt werden, hängt sehr von der Geschichte und der Qualität der Beziehung zwischen den Partnern ab.

Wenige Familien meistern diese enorme Herausforderung. Dies kann zum Beispiel gelingen, wenn eine Ehefrau ihren transidentischen Mann als Menschen liebt, wenn sie auf das Männliche an ihrem Partner verzichten kann, wenn sie das Weibliche an "ihm" mag, wenn sie die Stimmigkeit, die sich einstellt, an ihrem Partner empfinden und schätzen kann. Meistens geht es nicht ohne Trauerprozesse auf beiden Seiten ab. Es geht zunächst um ganz praktische Regelungen wie Zeiten des Kontakts; Vereinbarungen von Gesprächen in ruhiger Atmosphäre, in denen die Belange aller Beteiligten zur Sprache kommen können etc.

Einige Mann-zu-Frau-Transsexuelle schaffen es, mit ihrem Coming-out zu warten, bis ihre Kinder das Erwachsenenalter erreicht haben. Andere verleugnen ihr weibliches geschlechtliches Empfinden vor sich selbst oder versuchen es zu verdrängen, bis es durchbricht und ihnen in einer Krisensituation plötzlich klar wird, was sie verdrängt haben. So scheint es im Falle der Leserin und ihres Mannes zu sein.

Männer, die sich innerlich bewusst oder vorbewusst weiblich fühlen, haben meistens gerade deshalb Ehen geschlossen, weil sie hoffen, sich dadurch irgendwie zu normalisieren. Schwere Depressionen, Suchterkrankungen, psychosomatische Erkrankungen sind oft die Folge. Früher oder später im Leben wird das geschlechtliche Unbehagen dann so unerträglich, dass diese "Männer" nicht mehr anders können, als ihrem Geschlechtsidentitätsgefühl Ausdruck zu verleihen, es auszuleben, sich weiblich zu schminken und zu kleiden. Sie müssen dies tun, damit sie nicht zerbrechen und psychisch überleben. Wenn der Übergang gelingt, dann ist der Betroffene mittelfristig viel besser in der Lage, seine Elternfunktion auszufüllen. (Kinder haben einen Anspruch auf altersgemäße Aufklärung.) Für die Erleichterung, die ein Coming-out eines transsexuellen Menschen mit sich bringt, muss oft ein hoher Preis gezahlt werden, weil sich das Leben für alle Beteiligten dramatisch verändern kann. Dann ist Entdramatisierung angesagt: Gespräche mit Freunden, Inanspruchnahme von Beratungsmöglichkeiten, therapeutischen Hilfen, Austausch mit Betroffenen. Einerseits sind transsexuelle Menschen in dieser Phase besonders auf die Anerkennung durch ihre Angehörigen angewiesen. Andererseits sind sie sehr mit sich selbst und Zukunftsängsten beschäftigt und haben so kaum Reserven, sich in ihre Familienangehörigen hineinzuversetzen.

Vor diesem Hintergrund ist das so widersprüchlich geschilderte Verhalten des Ehemannes der Leserin zu erklären: Hier ist Geduld von beiden Seiten gefordert. Sowohl die Einzeltherapeutin der Leserin als auch der Genderspezialist, der ihren Ehemann behandelt, können auf beide Beteiligten einwirken, eine neutrale Eheberatung aufzusuchen, in deren schützendem Rahmen eine Verständigung darüber möglich wird, wie es weitergehen kann.

Eine Angehörigenberatung ist an unserem Institut für Sexualforschung am UKE möglich, Terminvergabe: Tel. 7410-522 25; Interdisziplinäre Sprechstunde für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Problemen der geschlechtlichen Entwicklung am UKE, Tel. 7410-522 30; Gruppe für Partner/Partnerinnen im Magnus-Hirschfeld-Centrum, Borgweg 8, Tel. 27 87 78 00. Selbsthilfegruppe Switch, Tel. 0176-29 49 73 23.