Weil ihr andere Werte wichtig wurden, verließ Dorothee Hunfeld ihren Karrierejob und wurde Chefin der Stiftung Mensch.

Sie war beruflich ganz oben angekommen. Dorothee Hunfeld, die Tochter aus einer Kaufmannsfamilie, hatte Jura studiert und war nach dem zweiten Staatsexamen in die Wirtschaft gegangen. Mit Erfolg arbeitete sie sich hoch, war unter anderem in einem Start-up-Unternehmen der IT-Branche und im General Management einer Bank tätig - Stationen, in denen sie "sehr viel gearbeitet und ebenso viel gelernt" hat. Dazwischen Heirat, drei Söhne, mehrere Umzüge, Hausbau: die perfekte Karrierefrau, nahezu allein unter Männern, geschätzt, geachtet, gleichberechtigt.

Die Arbeit machte ihr Spaß: das Gestalten, ebenso das Geldverdienen. Aber zu ihren Aufgaben gehörte es auch, Personal einzustellen - und zu entlassen: "Wie werde ich Leute los, wie behandle ich Menschen unter Ertrags- und Verdienstgesichtspunkten?", musste sie sich fragen. In der Wirtschaft heißt das "freisetzen", doch die bittere Wahrheit lautet oft: in die Arbeitslosigkeit schicken. An einem Jahresende stellte sie sich zum ersten Mal die Frage: "Wenn das Geld verdient ist und die Uhr wieder auf null gestellt wird, geht das dann immer so weiter? Das Gefühl, eine Firma aufzubauen nur unter dem Gesichtspunkt des Börsengewinns, völlig egal, was aus den Menschen wird, die man dafür einstellt oder entlässt - was mache ich hier eigentlich?" Es müsse doch Sinnvolleres geben, als Menschen das Recht auf Arbeit, eigenes Einkommen und Teilhabe an der Gesellschaft zu nehmen.

"Ich habe dann aus vollem Galopp die Pferde gewechselt, als gerade wieder eine Beförderung anstand. Keiner hat das verstanden. Es hat mich damals unendlich viel Mut gekostet, einen ganzen langen Berufsweg von heute auf morgen zu beenden. Im Nachhinein weiß ich, es war meine beste Entscheidung, einer tieferen Gewissheit zu folgen und daran zu glauben, das man die Dinge auch anders gestalten kann."

Nach einer Auszeit, in der sie sich neu orientierte, übernahm Dorothee Hunfeld als Vorstand die Leitung der Stiftung Mensch, einer 1964 gegründeten Stiftung für Menschen mit Behinderung und Unterstützungsbedarf im schleswig-holsteinischen Meldorf. Und begann mit dem Gestalten nach ihrem Verständnis von Menschlichkeit und "gleichberechtigter, möglichst selbstbestimmter Teilhabe am Leben in der Gesellschaft", wie es in der Satzung heißt. Seit zwei Jahren ist sie nun dort die Chefin. Wenn sie in den Werkstätten und Tagesräumen bei ihren regelmäßigen Besuchen die Tür öffnet, geht ein Strahlen über die Gesichter der betreuten Menschen. Alle wollen ihr zeigen, was sie tun und schon geschafft haben. Viele der praktischen und originellen Dinge, die sie anfertigen, lassen sich gut verkaufen. Am wichtigsten aber ist, dass hier der Mensch im Mittelpunkt steht. So wie er ist. "Unsere Qualität ist das Miteinander, unser Unternehmenswert die Freude", beschreibt Dorothee Hunfeld die Stiftungsarbeit. Und das glaubt man ihr. Gelöst und humorvoll, für jeden ein freundliches Wort, eine Ermutigung und eine Wertschätzung, die ehrlich ist, lebt sie selbst ihre Entscheidung nach dem Motto: "Für jeden Menschen muss es einen Platz geben. Wenn man die Freiheit hat zu entscheiden, dann ist es ganz leicht, sich etwas auszudenken, so dass der Mensch und seine Aufgabe zueinanderpassen."

Durch die Werkhallen zu gehen und die Atmosphäre der betriebsamen Geschäftigkeit und ruhigen Freundlichkeit zu spüren ist eindrucksvoll. Da werden Strandkörbe gefertigt und Bücher gebunden, wird geschneidert und genäht, andernorts Metall verarbeitet und Elektroschrott recycelt, manche arbeiten im Gartenbau oder in der Landschaftspflege, andere kümmern sich mit Hingabe um die 100 Galloway-Rinder und den Bio-Bauernhof. Auch Wohnmöglichkeiten, eine heilpädagogische Kita und einen Hort bietet die Stiftung mit ihren fünf Standorten in Dithmarschen an.

In die Leitung kann Dorothee Hunfeld ihren Sachverstand und ihre Management-Erfahrung einbringen. Die gemeinnützige Stiftung finanziert sich unter anderem durch den Verkauf der eigenen Produkte und Dienstleistungen, durch öffentliche Förderaufträge sowie aus Spenden. "Das Wirtschaften ist ganz anders als in einer Bank. Hier rechnen wir mit dem Cent hinterm Komma, früher kannte ich nur die Zahlen vor dem Punkt - bis in die Millionen. Aber hier bewegt so wenig Geld so viel, im Bankbereich hat so viel Geld so wenig bewegt."

Die Familie trägt ihre Entscheidung mit. Auch dass sie immer noch viel arbeitet, aber weit weniger Geld verdient. "Meine Familie hat als Gewinn gesehen, dass ich etwas aus innerer Motivation tue. Für mich", sagt Dorothee Hunfeld, "ist dies die sinnvollste Tätigkeit, die ich je hatte. Ich bekomme täglich so viel wieder durch meine Arbeit: eine unendliche Lebendigkeit und Vitalität, es gibt viel Weisheit im zwischenmenschlichen Bereich, viel Vertrauen. Gespräche, die ich mit den Betreuten führe, tragen mich durch den Tag. Alle hier haben ihren Platz gefunden. Und ich auch."

Infos: Stiftung Mensch Eescher Weg 67, 25704 Meldorf, Tel. 04832/99 90, Internet: www.stiftung-mensch.com Spendenkonto: Sparkasse Westholstein, Konto: 15 23 15, BLZ: 222 500 20