Wenn aus Liebe Hass wird, das Kind einem Elternteil entzogen wird, ist das seelischer Missbrauch, empört sich Silke S.

Meine jetzt elfjährige Enkelin wurde und wird meiner Tochter durch den Vater seit Jahren massiv entfremdet. Dies führte - wie nicht anders zu erwarten - zum endgültigen Beziehungsabbruch. Das nun zuständige Hamburger Jugendamt sah sich angesichts der Haltung des Vaters nicht in der Lage, meiner Tochter den Umgang mit meiner Enkelin zu ermöglichen. Sophia lehnt inzwischen jeden Kontakt mit ihrer Familie mütterlicherseits ab.

Dieser Albtraum dauert nun schon seit vielen Jahren an. Ich habe meine Enkelin, zu der ich früher eine sehr liebevolle Beziehung hatte, zuletzt im Dezember 2005 sehen dürfen. Alle Briefe, die ich ihr im Laufe der Jahre geschrieben habe, blieben unbeantwortet. Geschenke wurden ignoriert bzw. sogar mit dem Vermerk "Annahme verweigert" zurückgesandt. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, meine Enkelin während ihrer Kindheit wieder sehen zu können.

Ich schreibe diesen Brief, weil ich der Auffassung bin, dass die gezielte Entfremdung eines Kindes vom anderen Elternteil durch den betreuenden Elternteil seelischer Kindesmissbrauch ist. Es handelt sich dabei keineswegs um traurige Einzelfälle, sondern um ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem. Entfremdete Elternteile, egal ob Mütter oder Väter, sind Täter. Diesen Tätern Grenzen zu setzen, wäre der richtige und dringend notwendige Weg. Dies wird jedoch auf Dauer nur dann möglich, wenn die von Entfremdung betroffenen Menschen nicht schweigen und sich in ihrer Trauer und Ohnmacht zurückziehen, sondern dieses Problem öffentlich machen. Ich wäre glücklich, mit diesem Brief dazu beitragen zu können. Silke S. ((58)

Es antwortet Astrid Weinreich, Fachanwältin für Familienrecht:

Die Kinder sind leider nach wie vor die Hauptleidtragenden, wenn sich die Eltern trennen. Neben dem Gefühl der Trauer und absoluter Ohnmacht, die häufig bei dem Elternteil und den Großeltern, denen die Kinder entzogen werden, vorherrscht, führt die Entfremdung jedoch auch bei den Kindern zu Verlusten, die kaum wiedergutzumachen sind. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass endlose Umgangsverfahren nicht dazu beitragen, bessere Ergebnisse zu erzielen, und mit der Reform des familiengerichtlichen Verfahrens zum 1. September 2009 das sogenannte Vorrang- und Beschleunigungsgebot eingeführt, das für alle Kindschaftssachen gilt.

Im Zusammenhang mit dem Umgangs- und Sorgerecht soll nun auch eine "Hamburger Praxis" entwickelt werden, die eine Verbesserung der Kooperation zwischen den beteiligten Professionen (Richtern, Sozialpädagogen, Psychologen aus Jugendämtern und Beratungsstellen, Rechtsanwälten, Verfahrensbeiständen, Mediatoren und Sachverständigen) anstrebt und Standards entwickeln möchte. 1992 führte ein Richter im Familiengerichtsbezirk Cochem ein, dass streitigen Kindschaftssachen eine Eilbedürftigkeit zugemessen wird, weil er davon ausging, dass Eltern und Kinder bereits stark belastet sind, wenn ein Elternteil vor Gericht geht. Verhandlungen wurden danach bereits innerhalb von zwei bis drei Wochen terminiert. Wie beim "Cochemer Modell" steht auch für die "Hamburger Praxis" die eigenverantwortliche Einigung der Eltern im Vordergrund, fachlich unterstützt, eine tragfähige Lösung im Interesse und zum Wohl ihrer Kinder zu erarbeiten.

Im September 2010 findet daher eine Veranstaltung mit dem Titel "Entwicklung einer Hamburger Praxis" für alle beteiligten Berufsgruppen statt. Ziel ist es, für die einzelnen Verfahrensabschnitte die wichtigsten Informationen, Aufgaben, Abläufe, Kooperationen festzuhalten. In jedem Workshop soll das "Hinwirken auf Einvernehmen" und die Frage der "Beteiligung des Kindes" Berücksichtigung finden. Das Bewusstsein der beteiligten Professionen für die Notwendigkeit einer geänderten Praxis in Kindschaftssachen ist vorhanden. Es bleibt die Hoffnung, dass ein Fall, wie der von Sophia, zukünftig der Vergangenheit angehört.

Astrid Weinreich, Tel. 040/866 03 10

Familienanwältin und Mediatorin

Infos: www.astrid-weinreich.de