Wie blinde Frauen ihr Gespür für die eigene Schönheit neu entwickeln, schildern sie in einem Hörbuch.

Als Heike Herrmann zum ersten Mal bemerkte, dass mit ihren Augen etwas nicht stimmt, war sie sieben Jahre alt. Nach mehreren Untersuchungen wurde ihre Krankheit erkannt: Retinopathia pigmentosa (RP). Eine Störung der Netzhaut, die im jugendlichen Alter beginnen und zur völligen Erblindung führen kann. "Die Krankheit verläuft in Schüben. Als Jugendliche empfand ich meine Sehbehinderung noch nicht als einschränkend, konnte sogar Fahrrad fahren", sagt die 49-jährige Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Doch die Sehkraft schwand immer mehr.

"Mit Mitte dreißig stellte ich plötzlich fest, dass ich gar nichts mehr sah. Ich zog mich immer mehr zurück, benutzte nur noch drei mir bekannte Wege. Ich war wütend und traurig, dass ich nicht mehr einfach losgehen konnte. Trotzdem wollte ich auf keinen Fall den verhassten Langstock benutzen, der mich als Blinde, als behinderte Frau,outen würde", so die studierte Religionswissenschaftlerin und psychotherapeutische Heilpraktikerin.

Fast sechs Jahre dauerte dieser schmerzhafte Prozess, in dem sie sich ihr Blindwerden eingestehen musste. Schließlich rang sich die Frau mit den langen braunen Haaren zu einem Orientierungs- und Mobilisierungstraining durch, um die Nutzung des Langstockes zur lernen. Sie machte eine ungeahnte Erfahrung: "Der Stock verschaffte mir neue Freiheit, ich konnte mich wieder sicher und unabhängig bewegen", so Heike Herrmann. Das stärkte ihre Selbstsicherheit und ließ sie auch über das Thema Schönheit nachdenken.

"Habt ihr keine anderen Sorgen, als euch mit dem Thema Blindheit und Schönheit zu beschäftigen?" hörte sie häufig. "Aber auch als blinde Frau habe ich eine Vorstellung von Schönheit und Weiblichkeit, und die will ich mir auch nicht nehmen lassen", sagt sie selbstbewusst. Sie setzte sich in Texten damit auseinander und rief andere erblindende und blinde Frauen auf, ebenfalls Beiträge zu verfassen. Daraus entstand das Hörbuch "Blinde Schönheit" mit authentischen Texten von 14 blinden Frauen zwischen 30 und 80 Jahren.

Die Frauen schildern, wie sie sich als blinde Frauen wahrnehmen, wie wichtig ihnen ihre Ausstrahlung, ihr Styling, ihre Attraktivität ist. Sie erfüllen sich das Bedürfnis nach Kosmetik, Düften, schönen Kleidern, um sich wohlzufühlen. "Mode ist mein Hobby", stellt Heidrun Köllner (53) fest, die nach einer Augenentzündung und einem Glaukom erblindete. "Sie geben meinem Inneren einen angemessenen Rahmen", schreibt die Sozialpädagogin und Anti-Stress-Trainerin. Lange hatte sie sich die Frage gestellt: Langstock und flott aussehen, geht das? Ja, fand sie, denn ihre Sehbehinderung mache nur einen Teil ihrer selbst aus. Sie lebt als Berufstätige, Mutter und Großmutter ein glückliches Leben.

Das trifft auch auf die Hamburgerin Ruth Wunsch zu. Die 79-Jährige leidet an RP, kann seit rund 15 Jahren gar nichts mehr sehen. "Mein Leben ist dennoch bunt", sagt die Seniorin. Die gelernte Sekretärin war mit ihrem nach Augenkrankheit und Unfall früh erblindeten Mann aktiv in einer Kirchengemeinde tätig, machte einen Segelschein und entdeckte als Rentnerin das Reisen. Seit dem Tod ihres Mannes vor sechs Jahren schreibt sie Bücher über ihr Alltagsleben, über ihre Reiseerfahrungen, und sie bloggt im Internet. Ihre Lebensmaxime heißt:"Man muss die Behinderung akzeptieren, auch wenn es nicht immer leicht ist, doch das ist der einzige Weg, damit zu leben, gut zu leben."

Heike Herrmann und Ulrich Hofstetter (Hrsg.): Blinde Schönheit - Authentische Texte und Fotos von blinden Frauen. ISBN 978 3-00-028653-7, Audio-Buch 19,95 Euro

zu beziehen über den Buchhandel oder über die Internet-Seite von Heike Herrmann: www.captain-handicap.de

Texte von Ruth Wunsch: www.blindgaengerin.de