Schulleiterin Hiltrud Kneuer an der Schule Slomanstieg auf der Veddel glaubt an ihre Schüler und motiviert sie - mit großem Erfolg.

"Du kannst es schaffen", sagt die Lehrerin zu Ahmadsamir, und er blitzt sie aus seinen dunklen Augen herausfordernd an: "Ich werde es schaffen." Das war nicht immer so. Denn abhängen, Schule schwänzen oder auch mal Randale machen gehörte eine Weile zu den bevorzugten Tätigkeiten des heute 15 Jahre alten Schülers der Schule Slomanstieg auf der Veddel, wo er für diese Vorlieben auch viele Freunde fand. Ahmadsamir ist mit seiner Familie im Krieg aus Afghanistan geflohen und nach Hamburg gekommen, wo er 2002 eingeschult wurde.

Rund 85 Prozent der Schüler haben den sogenannten Migrationshintergrund. Sie seien durchaus in der Lage, einen ordentlichen Schulabschluss zu machen, nur fehle oft die Motivation und die elterliche Unterstützung.

Hiltrud Kneuer ist eine kleine, zierliche Person, aber wenn man sie reden hört, spürt man die Leidenschaft für ihren Beruf. Sie ließ sich etwas einfallen, um den Kindern eine Zukunftsperspektive zu geben. Sie ging zu den großen Industrie- und Handelsunternehmen in der Umgebung und warb um Praxisplätze. Und zwar für drei Jahre.

So sieht ihr Projekt aus, das beide Seiten inzwischen als "Win-win-Modell" bezeichnen: In Klasse 7 werden die Schüler durch Tagespraktika in regionalen Betrieben in die Berufswelt eingeführt. "Da kann man mal richtig was tun", sagt Volkan. Und noch was hat sich getan: Jetzt kommt der 15 Jahre alte türkische Schüler regelmäßig und pünktlich in die Schule.

In der 8. Klasse gibt es einen wöchentlichen Praxislerntag, zum Beispiel in dem nahe gelegenen, weltweit agierenden Kupferkonzern Aurubis AG, wo die Betreuer der Jugendlichen schon mal gucken, wer von ihnen wohl für eine Lehre und sogar spätere Anstellung infrage kommt. In Klasse 9 suchen sich die Schüler dann einen individuellen Praxislerntag etwa als Mechatroniker oder Metallverarbeiter selbst aus, andere machen ihre Praxiserfahrung bei der Drogeriekette "Budni" oder bei Elektro Mittendorf. An erster Stelle aber steht der Hauptschulabschluss. Diese Kombination von praktischem und schulischem Lernen gibt vielen Schülern aus überwiegend sozial schwierigen Verhältnissen zum ersten Mal die Zuversicht, etwas zu können, lehrt sie Disziplin und Verantwortung am Arbeitsplatz und regelt ihren Alltag.

Das pädagogisch ausgerichtete Projekt beinhaltet auch die menschliche Betreuung der Schüler. Sie erfahren Anerkennung und werden motiviert. Wie die heute 17-jährige Leyla aus Mazedonien. Früher war sie "heftig aggressiv" wie sie sagt, und hatte "keinen Bock auf Schule". Und heute? Schon bei dem Jahrespraktikum in der 8. Klasse hat sie erlebt, dass ihr die Arbeit Spaß macht. Feilen, schneiden, bohren - eigentlich nicht gerade von Mädchen bevorzugt - hat ihr gezeigt, dass es "etwas bringt, sich anzustrengen", nebenbei hat sie bei "Box out" an ihrer Gewaltbereitschaft gearbeitet und von dort aus eine Empfehlung für einen Praktikumsplatz an der Sportschule Agon erhalten. Dort lernte sie dann die Büroarbeit kennen, fand das aber fad und schwänzte oft.

Ergebnis: schlechtes Zeugnis. Sie riss sich zusammen, wie sie sagt, und schaffte den Hauptschulabschluss. Allerdings: Das reichte ihr nicht. Und auch Hiltrud Kneuer nicht, die längst gemerkt hatte, dass in dem Mädchen mehr steckt. Die engagierte Lehrerin und Schulleiterin hatte inzwischen im Einvernehmen mit der Schulbehörde eine Klasse "9-Plus" eingerichtet, den Clou der Stadtteilschule Slomanstieg. Sie bietet Schülern, die nach dem Hauptschulabschluss nicht wissen, was sie werden wollen, die Chance, noch ein Jahr weiterzulernen und zwar zwei Tage wöchentlich in der Schule, drei Tage in einem Betrieb eigener Wahl. Die Qualifizierung wird von der Arbeitsagentur mit monatlich 216 Euro gefördert, und die Handelskammer erteilt nach Abschluss ein Zertifikat, das zur Verkürzung der Lehrzeit um sechs Monate berechtigt. Leyla entschied sich in Klasse 9- Plus für den Verein "Box out", der Jugendlichen Boxtraining anbietet und mit Schulen zur Gewaltprävention zusammenarbeitet. "Die Arbeit hat mir die Augen geöffnet", sagt Leyla, "weil ich gesehen habe, wie schwer es ist, einen Beruf richtig zu lernen."

Leyla hielt durch, schaffte die Prüfung gut und schnitt im Praxisteil sogar als Klassenbeste ab. "Box out" bot ihr einen Ausbildungsvertrag als Fitnesskauffrau und Trainerin an. Jetzt coacht sie Jugendliche und erklärt ihnen, warum sie nicht weit kommen mit Gewalt und ohne Schulabschluss. Es funktioniert, weil sie weiß, wovon sie spricht. 75 Prozent der Teilnehmer an 9-Plus werden in die Ausbildung beim kooperierenden Betrieb übernommen.