Zwei Welten - eine Bühne: Bei TUSCH lernen Schüler Spielfreude - unter professioneller Anleitung von Theatermachern

"Ich bin ein Baum mit zwei Stämmen" heißt das Stück. Die Schüler haben es selbst geschrieben. Es sind Geschichten, die aus ihrem Alltag kommen. So wie die von Natalia, einem russischen Mädchen, das in Deutschland zu Hause ist. Sie möchte das Leben mit ihren Freundinnen teilen, möchte feiern gehen und frei sein. Und sie möchte ihren Eltern gefallen, die streng sind, alles verbieten. Sie ist hin- und hergerissen zwischen zwei Welten.

Die Schüler des Charlotte-Paulsen-Gymnasiums (CPG) in Hamburg-Marienthal haben es auf die Bühne gebracht. Sie spielen Szenen aus dem Alltag multikulturellen Zusammenlebens, hinterfragen Klischees und stellen ihnen ihre eigene persönliche Perspektive entgegen. Sie haben ihr Engagement als Chance gesehen, auch im Unterricht zwei Welten zu verbinden, die des Theaters und der Schule.

Das Charlotte-Paulsen-Gymnasium ist eine von 20 Schulen, die am Projekt "Theater und Schule" teilnehmen. TUSCH heißt die Initiative der Schulbehörde und der Körber-Stiftung in Zusammenarbeit mit den Hamburger Theatern. Innerhalb von zwei Schuljahren erarbeiten die Profis mit den Schülern Themen rund ums Theater und gestalten Aufführungen, Performances und Ausstellungen.

Balletttänzerin Indrani Delmaine vom Hamburg Ballett ist regelmäßig im Unterricht zu Gast. Jetzt steht sie im großen Saal der Schule und klatscht zum Takt des Pianos. "Schneller! Lauter! Konzentration!", ruft sie den Schülern zu. Es ist kurz vor zwölf am Vormittag, Unterricht Darstellendes Spiel. Die Schüler proben ihr Stück. Indrani Delmaine zeigt Schritte, Sprünge, Tänze. "Am Anfang waren wir skeptisch. Aber jetzt sehen wir, dass die ganze Inszenierung dadurch viel besser geworden ist", stellt Schülerin Jessica Nguyen fest.

Insgesamt 15 Theater machen bei TUSCH mit. Doch die Warteliste für das Projekt, das 2002 ins Leben gerufen wurde und jeweils zwei Jahre dauert, ist lang. "Wir wollen mit den außerschulischen Partnern die Schulen animieren, die Kreativität auch auf andere Bereiche zu erweitern und möglichst viele mit dem Theatergedanken infizieren", sagt Kai-Michael Hartig von der Körberstiftung. Das kulturelle Lernen solle auf diese Weise in die Schulen hineingetragen werden. Zum einen dadurch, dass die Theaterleute den Unterricht mitgestalten, zum anderen durch Besuche der Schüler in den Theatern. So ist Indrani Delmaine mit ihren Zöglingen mehrfach in die Staatsoper gezogen, hat Proben und Aufführungen besucht, die Werkstätten angeschaut und mit Nachwuchstänzern gesprochen. "Beim Theaterspielen kann man mit fremden Augen aufs eigene Leben schauen", sagt die Tänzerin. Kathrin vom Bruck, Lehrerin am CPG, ist für die professionelle Unterstützung im Unterricht dankbar. "Es gibt den Schülern Selbstbewusstsein, wenn sie später eine wirklich gute Leistung auf die Bühne bringen. Sie fühlen sich mit ihrem Stück ernst genommen. Das macht sie richtig stolz."

Und weckt ihren Ehrgeiz. Immer wieder gehen die Schüler die Szenen durch. Sie erheben die Stimme, richten sich auf und erzählen ihre Geschichten über Menschen, die mitten unter ihnen leben. Zum Beispiel die von Natalia aus Russland. Oder die einer jungen Inderin, die wegen ihrer Kleidung von den anderen belächelt wird. Bis diese begreifen, dass unter dem Schleier ein Mädchen steckt, das genauso fühlt wie sie. Am Ende des Stücks heißt es: "Ich bin ein Baum mit zwei Stämmen. Ja, ja: mit zwei Stämmen! Das verstehst du nicht? Ich bin ein Baum und habe nur eine Wurzel, eine Wurzel dort, wo ich geboren bin. Du willst, dass ich immer grün bleibe, willst mich biegsam wie eine Weide oder blühend wie eine Linde? Aber ich bin ein anderer Baum und habe zwei Stämme. Sie sind nicht gleich - können nicht gleich sein." Den Schülern, von denen mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund haben, wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, zwei Welten zusammenzubringen. Sie wissen aber auch, dass genau darin eine große Chance liegt.