Tatort Familie: Wenn ältere Frauen sich gedemütigt, wertlos und ohnmächtig fühlen, sollten sie Rat und Hilfe suchen.

Erst nachdem die Spuren an ihrem Körper nicht mehr zu übersehen sind, ist es unausweichlich für Karin S., 71, zu handeln. Als ihr Mann nicht zu Hause ist, wählt sie den Behördenruf und wird an die Frauenberatungsstelle verwiesen. Den Termin für ein persönliches Gespräch zu vereinbaren ist nicht so leicht, weil Karin genau darauf achten will, dass ihr Mann ihre Abwesenheit nicht bemerkt. Dann ist sie froh, sich die Last von ihrer Seele reden zu können. Sie ist seit 50 Jahren verheiratet. Ihr Mann und sie haben ein langes Leben geteilt. Es ging immer darum, die materielle Existenz zu sichern. Die Kinder haben ihnen viele Sorgen gemacht, aber auch große Freude. Jetzt sind die Enkelkinder schon fast erwachsen.

Während der Familientreffen spricht Karin nicht über ihre Situation. Sie kann diese selbst nicht begreifen. Ihr Mann hat doch immer für alle gesorgt. Er war manchmal jähzornig, aber Karin ist es immer wieder gelungen, die Harmonie in der Familie herzustellen. Nachträglich nimmt Karin schon wahr, dass während der letzten Jahre die Atmosphäre zwischen ihnen beiden sich immer mehr anspannte. Jetzt reagiert ihr Mann auf fast jede ihrer Äußerungen, noch so vorsichtig formuliert, unbeherrscht. Manchmal stößt er sie gegen die Möbel. Er wird immer aggressiver. Außerdem kontrolliert er sie, das betrifft die Ausgaben für die Lebenshaltung und auch die sozialen Kontakte.

Das Schicksal von Karin S. ist kein Einzelfall

Karin S. ist verzweifelt, sie kann die Belastung und Angst nicht mehr ertragen und sieht keinen Ausweg. Sie fühlt sich immer schwächer. Körperliche Krankheiten nehmen zu.

"Das Schicksal von Karin S. ist kein Einzelfall", sagt Brigitte Hübner von der Beratungsstelle für Frauen, biff Winterhude. "Nur ist es für eine ältere Frau besonders schwer, ihre Situation zu verändern. Sie schweigt so lange, weil sie lange Zeit nicht wahrnehmen will, dass ihre Grenzen überschritten werden, weil sie daran glauben will, dass es besser wird, weil sie die Familie nicht zerstören will, weil sie mit niemandem darüber sprechen kann, weil sie finanziell abhängig ist, sie Angst hat, allein zu bleiben, weil sie besorgt ist, dass ihr Mann allein nicht zurechtkommt."

Die Diplom-Psychologin Brigitte Hübner weiß: "Die tiefen Ursachen können der Mangel an Selbstwertgefühl sein, nie gelernt zu haben, sich abzugrenzen, Schuldgefühle wegen des eigenen Verhaltens, sich nicht genügend um eine bessere Situation bemüht oder Grenzüberschreitungen herausgefordert zu haben. Es können Gefühle des Versagens sein, der Ohnmacht, der Scham, es können überlieferte Verhaltensmuster sein, es kann durchaus aber auch 'Angst vor Rache' sein und keinen Ausweg zu wissen."

Es geht um Frauen aus allen Gesellschaftsschichten

Etwa 240 000 Frauen über 60 Jahre leben in Hamburg. Wie viele von häuslicher Gewalt, auch im erweiterten Sinne, betroffen sind, weiß man nicht. Nur so viel: In den entsprechenden Beratungsstellen waren in den letzten Jahren etwa fünf Prozent der Ratsuchenden 60 Jahre und älter. Es geht um Frauen aus allen Gesellschaftsschichten, die Frau in der Hartz-IV-Situation ist genauso betroffen wie die Innenarchitektin oder Unternehmerin. Sie sind nicht immer körperlicher Gewalt in ihrer Ehe ausgesetzt, sondern auch den sehr viel subtileren Formen psychischer Gewalt: Drohungen, Nötigungen, Demütigung, Einschüchterung, Verbote, Kontrolle und Bespitzelung von sozialen Kontakten.

Die vielschichtige Gewalt zieht sich oft über Jahrzehnte hinweg und/oder wird plötzlich präsent wie zum Beispiel durch den Eintritt in das Rentenalter, den aufgezwungenen Vorruhestand oder eine nicht gewollte Arbeitslosigkeit und auch auftretende finanzielle Probleme.

Die Scham macht es der Frau unmöglich, die immer noch vorhandene Tabuisierung zu durchbrechen. Hinzu kommt, ältere Frauen sind nur unzureichend über Unterstützungsangebote informiert. Brigitte Hübner: "Deshalb sind wir in unseren Beratungsstellen dankbar für das Projekt 'Extra-Programm für Frauen 60+' - ein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördertes und in Kooperation mit der Hamburger Behörde für Soziales durchgeführtes Aktionsprogramm, das eine kostenlose Teilnahme ermöglicht.

"Extra-Programm für Frauen 60+" bieten die biff-Beratungsstellen an

Es will betroffenen älteren Frauen Mut machen, Rat und Unterstützung anzunehmen. Dazu gehören auch Prävention und die Aufarbeitung vergangener schmerzlicher Erfahrungen." Im Rahmen des "Extra-Programm für Frauen 60+" bieten unter anderem die Beratung und Information für Frauen (biff) Winterhude, Tel. 3863 00 06 und biff Eimsbüttel/Altona, Tel. 39 67 62, Unterstützung an. In der offenen Beratung, im Einzelgespräch, kann es für die betroffene Frau Erleichterung bedeuten, dass ihr eine andere Frau zuhört, mitfühlt, ohne die Belastung abzuwehren, wie es innerhalb der Familie oft genug geschieht. Sie wird zum Handeln angeregt, sucht eine Rechtsberatung auf und informiert sich auch über ihre finanzielle Lage. Informationen über das Programm "Sicher leben im Alter" unter

www.silia.info