Beim Hafengeburtstag 1985 stand ein aus 145 000 Streichhölzern gebautes Schiffsmodell zum Verkauf. Sven Tillmann hatte es während seiner Haft gebaut. “Wer erinnert sich an meinen Onkel und sein Werk?“, fragt Hendrik H.

Sie haben im Jahr 1985 meinem Onkel Sven Tillmann mit einem Aufruf auf der Seite "Von Mensch zu Mensch" geholfen. Davon habe ich jetzt durch Zufall erfahren. Vielleicht können Sie sich, Frau Schneider, noch an ihn erinnern? Nach einem sehr unglücklichen Leben soll er nur wenige Jahre später in einem Hamburger Männerheim verstorben sein. Da die Familiengeschichte meines Onkels auch Teil meines Lebens ist, würde ich gern etwas über ihn erfahren. Von meiner Mutter, seiner Schwester, hörte ich von den desaströsen Familienverhältnissen, in denen sie und Sven aufgewachsen sind. Sie hat wenig über ihren Bruder erzählt, ich möchte aber gern mehr über ihn wissen und wie er dazu gekommen ist, ein solch beeindruckendes Schiffsmodell zu bauen, mit dem er doch wohl einen Teil seines schweren Lebens aufgearbeitet hat. Vielleicht erfahre ich auch, wer das Schiff erworben hat und darf es mir einmal mit unseren Kindern anschauen?

Hendrik H. (42)

Antwort: Ich erinnere mich noch sehr gut an Sven Tillmann, der mir im März 1985 aus der Strafvollzugsanstalt Vierlande während der letzten Tage seiner Haft geschrieben hatte. Er bat darum, ihn beim Verkauf seines Schiffsmodells zu unterstützen, das er in 2350 Arbeitsstunden aus 145 000 Streichhölzern gebaut hatte.

Auf meine Bitte, etwas über sein Leben und die Hintergründe für den Bau des beeindruckenden Schiffsmodells zu schreiben, reagierte er sofort:

"Vielen Dank, Frau Schneider, ich habe nicht daran geglaubt, dass auch mir einmal jemand seine Hilfe anbietet. Aber es tut gut. Sie fragen nach den Gründen für den Bau, die sind schnell erzählt: Wir liegen mit sieben Mann in einem Saal. Es geht zu wie in einem Bienenstock. Dazu laufen mehrere Fernseher und Radios gleichzeitig. Es ist ein Nervenkrieg gegen die Seele. Um dem ein wenig zu entkommen, habe ich meine Freizeit im Bastelsaal verbracht, der einzige Ort, an dem man mehr oder weniger allein sein kann. Dort habe ich zehn bis zwölf Stunden am Tag gesessen, geklebt, geschliffen und über mein verpfuschtes Leben nachgedacht.

Das Schiffsmodell ist einfach so entstanden, ohne Zeichnung oder Vorlage. Ich wusste nur, dass es schön werden soll. Leider ist es etwas zu groß geworden: 130 Zentimeter lang, 26 Zentimeter breit, 96 Zentimeter hoch und deshalb sicher nicht leicht zu verkaufen. Aber ich muss es tun, denn nach meiner Entlassung will ich wieder Fuß fassen, und dazu braucht man leider Geld.

Ich möchte nicht mehr die Hilfe der Behörden in Anspruch nehmen, denn die haben mich seit dem 26.11.1940 am Wickel, seit dem Tage, als ich unehelich geboren wurde. Es gibt noch zwei Halbgeschwister. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Er hat sich genauso wenig um mich gekümmert wie meine Stiefväter. Und meine Mutter hasste mich mit einer Leidenschaft, die schon an Inbrunst grenzte.

So reihten sich die Jahre der kleinen und großen Quälereien endlos aneinander. Ich trotzte und log und freute mich, wenn ich nicht erwischt wurde. Die Schule schaffte ich gerade so, es hat sich ja auch keiner um mich gekümmert. Größer geworden, konnte ich meine Aggressionen in der Schule loswerden, nachmittags gab es die Straßenbanden für mich. Weil alle nur über meine Liebe zu Tieren lachten, blieb mir nur, mich wie eine Schnecke in ihr Haus zurückzuziehen. Als ich 16 wurde, wollten sie mich endgültig loswerden. Ich kam zu Bekannten nach Schweden, sollte dort eine Lehre machen. Das ging schief. Keiner wollte mich, meine Mutter spuckte mich nur an, als ich zurück nach Hause wollte.

So kam ich zur Seefahrt, blieb dort zwölf lange Jahre mit einer Unterbrechung von eineinhalb Jahren in Argentinien und Brasilien - ich war desertiert. Mithilfe des deutschen Konsuls kam ich zurück nach Hamburg, habe hier fast alles gemacht: im Hafen gearbeitet, in der Gastronomie, als Gärtner. Eine Verlobung ging in die Brüche, eine zweite ebenfalls. Ich suchte das Abenteuer, aber es befriedigte mich nicht. Man braucht eben jemanden im Leben, dem man vertrauen kann. Sonst klappt nichts.

Dann kam ich mit dem Gesetz in Konflikt. Nun hoffe ich, wieder einen Anfang machen zu können. Darum möchte ich das Schiff verkaufen.

Wenn Sie, liebe Leser, sich an Sven Tillmann erinnern, etwas über den Verbleib seines Schiffes wissen, das am Hafengeburtstag 1985 verkauft wurde, dessen Spur aber verloren gegangen ist, teilen Sie es doch bitte seinem Neffen über die Redaktion mit .