Alle meinen, sie zu kennen, die große Astrid Lindgren, die "Mutter" von Pippi Langstrumpf, Karlsson vom Dach und Kalle Blomquist, die Schöpferin der paradiesischen Kinderwelten in Bullerbü und auf Saltkrokan. Wir haben bestimmte Bilder vor Augen: Astrid Lindgren lesend und erzählend unter Kindern, mit Baskenmütze und Brechstange, auf Bäume kletternd, schelmisch und eigenwillig noch als Greisin.
In Hamburg erschien 1949 mit "Pippi Langstrumpf" ihr erstes Buch in deutscher Sprache. Anfangs von Pädagogen und Kritikern mit großem Vorbehalt betrachtet, wurde "Pippi" zum Vorreiter einer neuen Nachkriegs-Kinderliteratur, die das Recht der Kinder auf Spiel und Freiheit erfolgreich einforderte.
Es lohnt sich, das Leben der großen Astrid Lindgren nicht nur als literarische Aufarbeitung einer vermeintlich uneingeschränkt glücklichen Kindheit zu betrachten. Ihre Bücher wie "Mio, mein Mio" und "Die Brüder Löwenherz" sind Trostbücher für Kinder, aber auch für sie selbst. Auch in den heiteren Episoden der "Ferien auf Saltkrokan" stehen Sätze wie: "Freud und Leid reichen einander die Hand, manche Tage sind schwarz und voller Trübsal".
Astrid Lindgren war eine nachdenkliche Frau. Gerade, weil sie die Bedeutung einer unbeschwerten Kindheit als Stärkung für das ganze Leben erkannt hatte, war sie oft der Verzweiflung nahe, wenn sie an die Lebenssituation und die Zukunft der Kinder dieser Erde dachte.
Astrid Lindgren konnte wütend sein, und sie war es oft: über Dummheit und Stolz, über Ungerechtigkeit, Gewalt und die Borniertheit Kindern gegenüber. In ihrer berühmten Rede "Niemals Gewalt" anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1978 sprach sie von ihrer Sorge um die Kinder und ihren Hoffnungen für sie: "Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, in der Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, in der Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben. Gibt es auch nur die geringste Hoffnung darauf, dass die heutigen Kinder dereinst eine friedlichere Welt aufbauen werden, als wir es vermocht haben?"
Und weiter: "Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist."
Selten ist von einer Kinderbuchautorin so ernst über das gesprochen worden, was Kinder brauchen und was ihnen fehlt. Das war der starke Antrieb für Astrid Lindgrens Schreiben: Kinder zu ermutigen, sie selbst zu sein - freie, unverbogene, kreative Persönlichkeiten, kritisch gegen die Dummheit und Borniertheit Erwachsener. Noch etwas trieb sie an - eine große Liebe zu ihnen: "Ich habe Kinder immer mehr geliebt als Männer."
Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) und die Katholische Akademie widmen der mehrfach ausgezeichneten Kinderbuchautorin zu ihrem 100. Geburtstag am 14. November schon jetzt ein großes Fest.
Studierende der HAW unter Leitung von Prof. Frauke Schade haben ein Programm der Leseförderung für 5- bis 12-Jährige entwickelt. Es geht um Gehorsam und Ungehorsam, Mut und Freundschaft, Hoffnung und Glauben. Experten sprechen über die Aufnahme von Astrid Lindgrens Werk bei Kindern in den letzten 70 Jahren und über die neue Datenbank von Prof. Birgit Dankert (em. HAW), die die gesamte deutschsprachige Forschungsliteratur zu Astrid Lindgren und all ihre Medien erfasst und öffentlich zugänglich gemacht hat.
Zwei Ausstellungen mit unterschiedlichen Illustrationen zu dem Schlüssel-Text "Im Land der Dämmerung" und ganz neuen Illustrationen von Studenten der HAW laden zum Betrachten ein (bis 19. Sept., Mo-Fr, 10-18 Uhr).
"Hej hej", Kinder, viel Spaß beim Schmökern in Astrid Lindgrens wunderbaren Büchern. Denn das ist das Wichtigste: dass Pippi Langstrumpf, Lotta & Co weiter gelesen werden.
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