Ein Verein in Berlin versorgt junge Obdachlose und hilft ihnen auf dem Weg zurück in die Gesellschaft

"Es gibt viele Gründe, warum Kinder auf der Straße landen, aber keinen Grund, das hinzunehmen." Dieses Motto ist Leitmotiv und Triebfeder für den vor zwölf Jahren gegründeten Verein Straßenkinder e. V. in Berlin. Dort lebt jedes Vierte der etwa 9000 Straßenkinder in Deutschland. Die Kinder und Jugendlichen kommen aus allen sozialen Schichten und sind zwischen zehn und 17 Jahren alt. Die Gründe, das Zuhause zu verlassen, sind vielfältig und doch auf erschreckende Weise immer gleich: Gewalt, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung. Die Kinder haben Hunger, Angst und kein Vertrauen mehr zu Erwachsenen.

Hier setzt der Verein an. Die Streetworker kümmern sich um die jungen Ausreißer und versuchen, sie schnellstmöglich von der Straße zu holen, damit sie nicht noch weiter abrutschen und der Weg zurück in die Gesellschaft nicht noch steiniger wird.

Mit der mobilen Straßenkinderarbeit erreicht die Initiative täglich rund 100 obdachlose junge Menschen an den einschlägigen Treffpunkten der Hauptstadt. Die fünf Mitarbeiter des Vereins hören zu, haben Zeit und helfen, wo Hilfe gewünscht ist. Der VW-Bus des Vereins fährt regelmäßig durch die Stadt und versorgt die Straßenkinder mit Tee, Keksen und warmen Mahlzeiten. Immer zur gleichen Zeit, immer am gleichen Ort.

Nach häufig jahrelanger, verbindlicher und beziehungsorientierter Arbeit kann das Leben vieler Betroffener neu geordnet werden und eine gesellschaftliche Reintegration folgen. Hierbei treten die Mitarbeiter des Vereins als Mittler zwischen Eltern, Jugendamt und Polizei auf, helfen bei Sozial- und Rechtsfragen, bei Amtsgängen, Wohnungssuche, schulischer Qualifikation und Ausbildungsplatzsuche.

Eines der Kinder, denen der Verein helfen konnte, ist Hannah. Sie war erst neun Jahre alt, als sie von zu Hause fortlief. Das kleine Mädchen hatte einen gebrochenen Kiefer von den brutalen Schlägen seines Stiefvaters. Jahrelang lebte Hannah daraufhin in Berliner Abbruchhäusern, U-Bahn-Schächten und anderen Verstecken. Sie traute keinem Erwachsenen mehr und nahm die Hilfe von Straßenkinder e. V. nur sehr zögerlich an.

Erst nach sechs Jahren behutsamer Annäherung gelang es den Streetworkern, sie zu einem Drogenentzug zu bewegen. Fern der Suchtmittel machte der Teenager eine Ausbildung zur Sozialassistentin. Und auch der Kontakt zur Mutter, die sich für die Vorfälle in der Vergangenheit entschuldigt hat, konnte wieder aufgebaut werden. Heute arbeitet Hannah in einer Kindertagesstätte.

Um auch präventiv gegen Kinder- und Bildungsarmut vorgehen zu können, gründete der Verein Anfang 2010 das Kinder- und Jugendhaus BOLLE in Berlin-Marzahn, einem Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit. Bis zu 70 Prozent der unter 18-Jährigen im Umfeld der Einrichtung sind von Hartz IV betroffen. Für viele Kinder - täglich kommen rund 100 zwischen fünf und 17 Jahren - ist BOLLE die einzige Möglichkeit, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten, ein warmes Essen zu erhalten und entsprechend ihrer Talente gefördert zu werden. Der Strauß an Lern- und Beschäftigungsmöglichkeiten reicht von Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe über Kreativ- und Sportangebote bis zu Musikprojekten, theater- und erlebnispädagogischer Arbeit sowie Kräuter- und Ernährungskunde. Die positiven Erfahrungen im geschützten Raum machen die Kinder auch in der Schule leistungsfähiger. Sie brauchen nicht auf die Straße zu fliehen, sondern haben im Kinderhaus BOLLE ein zweites Zuhause gefunden.

Straßenkinder e. V., Hauptpreis (20 000 Euro), Hohensaatener Straße 20/20 A, 12679 Berlin, Tel. 030/300 24 45 50, www.strassenkinder-ev.de