Bei Freiwurf Hamburg treiben Menschen mit Behinderung diesen schnellen und körperbetonten Sport

Die Halle am Hamburger Münzberg versprüht an diesem Morgen ihren spröden Schulsportcharme. Die Luft riecht etwas abgestanden, Sportschuhe quietschen, Bälle prallen auf. Sven läuft gerade auf den Abwehrspieler zu, lässt ihn stehen und wuchtet den Ball ins Tor. Trainer Martin Wild applaudiert kurz und ruft Sven im Vorbeitraben ein "Weiter so" zu, gibt taktische Anweisungen und mahnt zur Konzentration. Eine Szene, wie sie jeden Tag in deutschen Sporthallen stattfindet, wäre da nicht die kleine Besonderheit. Sven hat genau wie seine 30 Mannschaftskameraden von Freiwurf Hamburg eine geistige Behinderung.

Handball und Behinderung? Eigentlich gilt der Mannschaftssport nicht gerade als Paradedisziplin im Behindertensport. Die Bewegungsabläufe sind extrem komplex, und das Spiel ist durchaus körperbetont. "Genau diese Gedanken hatte ich auch, als ich das erste Mal darüber las", sagt Martin Wild und ruft seine Spieler zu einer Trinkpause zusammen. Als Wild beruflich von Süddeutschland nach Hamburg zog, suchte der begeisterte Handballer eine Jugendmannschaft, die er trainieren konnte. Dann las er Berichte über Handballer mit geistiger Behinderung in Thüringen und in Baden.

Heute, knapp zwei Jahre später, gibt es Kooperationen mit AMTV Hamburg und SV Eidelstedt, ein festes Team aus vier Trainern, zwei wöchentliche Trainingsgruppen und eine Kooperation mit dem Handball-Bundesligisten HSV Hamburg. Ein Entwicklung, die man auch beim Special Olympics Verband begrüßt. "Hamburg ist einer unserer Leuchttürme, was die noch junge Handballsparte angeht", sagt der nationale Handballkoordinator Carsten Schenk. "Deutschlandweit gibt es nur 20 solcher festen Teams."

Angesichts solcher Komplimente schmunzelt Wild: "Wir sind auf einem guten Weg." Um eine mögliche Botschafterfunktion für Behindertenhandball macht er sich nur nebenbei Gedanken, er ist in erster Linie Trainer. Unermüdlich erklärt Wild seinen Spielern die richtige Taktik und verbessert sie. "Wir haben einen gewissen Anspruch. Klar steht der Spaß im Vordergrund, aber Auspowern ist Pflicht." An Engagement fehlt es keinem seiner Spieler, jeder gibt sein Bestes und ist zu 100 Prozent dabei. Eine Einstellung, die dem ehemaligen Jugendtrainer sehr imponiert. "Lustlosigkeit wie bei manchen Jugendmannschaften erlebe ich hier nicht. Die Erfolge sind definitiv da, nach zwei Jahren sieht es schon echt nach Handball aus." Wie zur Bestätigung landet der nächste Ball genau in der oberen Ecke des Tores. Jan-Philip im weißen HSV-Trikot ballt die Faust vor Freude und läuft wieder an seine Position.

Anders als im normalen Spielbetrieb wird bei Freiwurf Hamburg nicht nach Alter oder Geschlecht getrennt. So sind die Spieler zwischen zwölf und 60, zum festen Kern der Mannschaft gehören auch drei Mädchen. Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit spielt dabei auch keine große Rolle. "Jeder soll Spaß bei uns haben und gleichzeitig auch gefordert sein", erklärt Wild.

Hier zeigt sich die größte Leistung des Trainerteams. Aus einer wöchentlichen Trainingsgruppe ist eine echte Mannschaft geworden, in der man sich anfeuert, Verantwortung übernimmt und in der Freundschaften entstehen. "Die Mannschaft wird immer besser", sagt Martin Wild stolz. "Trotzdem sind wir mit dem Projekt noch am Anfang."

Bisher trifft man sich nur zum Training, Spiele gegen andere Mannschaften gibt es selten. "Bei einem Turnier in Karlsruhe haben wir den Unterschied klar gespürt. Teams aus Süddeutschland sind viel mehr den Spielbetrieb gewöhnt." Nach seinen Zielen gefragt, fallen die Antworten des Trainers entsprechend aus. "Ich würde mich über mehr Vereine aus der Region freuen, die sich an dem Projekt beteiligen. Außerdem müssen wir auch im Bereich der Inklusion, dem gemeinsamen Handballerlebnis von behinderten und nicht behinderten Menschen, noch mehr tun."

Für solche Schritte fehlt es bisher an Zeit und Geld. Handball gilt nämlich nicht als Reha-Sport und wird deshalb nicht gefördert. Sämtliche Kosten für Reise oder Ausrüstung müssen also über Spenden finanziert werden. Aber Martin Wild ist optimistisch. "Das Projekt hat sich so gut entwickelt, und das wird es wohl auch weiter tun", sagt der Trainer und eilt zum gemeinsamen Spielerkreis am Ende des Trainings.