Die Tagesstätte Roter Hahn ist Arbeitsplatz für schwerbehinderte Erwachsene und zugleich Ort der Begegnung.

Carsten war sechs Jahre alt, als er auf seinem Schulweg verunglückte. Er wurde von einem Laster angefahren und schwer verletzt. Der Unfall riss ihn und seine ganze Familie komplett aus dem bisherigen Leben. Denn er ist seitdem mehrfach behindert. Heute ist Carsten 41 Jahre alt, er sitzt im Rollstuhl, kann keine Tätigkeit selbstständig ausführen, ist auf Hilfe angewiesen. Er wohnt seit vier Jahren in einer betreuten Wohngruppe. Trotz seiner erheblichen Einschränkungen geht er tagsüber einer Beschäftigung nach: in der Tagesstätte Roter Hahn in Sasel. Hier übernimmt er kleine Tätigkeiten, wie das Bügeln und wird dabei von Betreuern wie dem Zivildienstleistenden Niclas Hopp umfangreich unterstützt.

Carsten ist einer von mehreren jungen Erwachsenen, die trotz ihres schweren Schicksals in der Tagesstätte eine leichte Beschäftigung finden und die Möglichkeit erhalten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. "Wir bieten hier 18 Arbeitsplätze für Menschen mit hohem Hilfebedarf", sagt Marion von Jarmersted, Leiterin der Tagesstätte des Vereins Leben mit Behinderung.

Es sind Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, und sie werden "von Fachkräften und jungen Leuten im sozialen Jahr einfühlsam und individuell betreut", erklärt die gelernte Erzieherin. Dass die Tagesstätte seit einem Jahr ihren Sitz am Saseler Markt hat, ist der "Initiative für ein lebenswertes Sasel" zu verdanken. Sie setzte sich dafür ein, dass die Tagesstätte in den Räumen der ehemaligen Bücherhalle einziehen konnte. "Es war uns ganz wichtig, dass eine soziale oder kulturelle Einrichtung hierherkommt", sagt Barbara Kretzer von der Saseler Initiative. Denn das Haus soll auch ein Treffpunkt für Saseler Bürger sein, in dem sie soziale Kontakte knüpfen können. Diese Bedingung hat der Rote Hahn, benannt nach dem Straßennamen seines ersten Domizils, umgesetzt. "Kommen Sie doch mal 'rein" lautete das Motto der Tagesstätte. Die behinderten Menschen werden hier nicht hinter Mauern versteckt, sondern arbeiten an einem Ort der Begegnung. Es wurde ein Raum geschaffen, in dem Besucher Zeitungen lesen, sich unterhalten können und die Atmosphäre des Hauses kennenlernen. "Das ist eine einmalige Form der Integration für Menschen mit und ohne Behinderungen", so die Tagesstättenleiterin. Und kommt gut an. "Ich kann hier in Ruhe meine Zeitung lesen und genieße die gemütliche Atmosphäre. Ich finde es sehr gut, wie einfühlsam und respektvoll die Mitarbeiter mit den behinderten Menschen umgehen", sagt eine Besucherin.

In den hellen Räumen des alten Backsteinhauses stellen die jungen Erwachsenen viele kunsthandwerkliche Produkte her. Die Arbeit ist individuell auf die Ausführenden zugeschnitten, "damit jeder so selbstständig wie möglich arbeiten kann", erklärt Marion Jarmersted. In der Papierwerkstadt arbeitet Thomas (31), der mit einem Down Syndrom geboren wurde, relativ eigenständig an seinen Papierwerken. In der Nähstube bekommt die junge Libanesin Suzan (24) dagegen mehr Hilfe bei der Herstellung von Kirschkernkissen, die später auf dem Weihnachtsmarkt verkauft werden. Die junge Frau ist seit zehn Jahren im Roten Hahn. Als zwei Monate altes Mädchen erlitt sie nach einer Bombenexplosion auf dem Balkon ihres Wohnhauses eine schwere mehrfache Behinderung.

Ehrenamtliche Helferinnen wie Hella Ahrens und Christa Währer kümmern sich seit vielen Jahren mit Hingabe und Herzlichkeit um die Menschen. Sie gehören zu den insgesamt fünf Ehrenamtlichen, die das Team unterstützen. Die Arbeit erfordert sehr viel Einfühlungsvermögen, Geduld und keinerlei Berührungsängste. Doch es entwickelt sich auch eine Vertrauensbasis. "Wir erleben in allem eine frohmachende Selbstverständlichkeit, und wir bekommen auch sehr viel zurück", sagt Hella Ahrens, die sich seit mehr als 30 Jahren im Roten Hahn engagiert. Auch die Angehörigen, die oft an ihre emotionalen und physischen Grenzen kommen, erfahren hier viel Verständnis. Nach dem ersten Jahr am Saseler Markt zieht Marion Jarmersted eine positive Bilanz: "Mit dem Café und dem Wochenmarkt vor der Tür ist hier ein optimaler Platz, um Integration zu leben und zu erleben."