Schulkrankenschwestern gibt es in Hamburg eigentlich nicht. Tessa-Marina Alagöz von der Klosterschule ist ein Unikum.

St. Georg. Für die leichteren Fälle stehen auf dem Schreibtisch Gläser mit Trostonikum, Tränentröster, Frustramed und Bauchwehwegliquid. Das sind bunte kleine Pillen - keine Medizin, sondern Smarties und andere bunte Pastillen. Inzwischen wissen die meisten Schüler des Gymnasiums Klosterschule, dass sie keine medizinische Wirkung haben, aber sie mögen den kleinen Trost, "die Augen der Kleinen wandern immer schnell zu diesen Gläsern", sagt Tessa-Marina Alagöz.

Die 59-Jährige kümmert sich an dem Ganztagsgymnasium um Kinder, die während der Unterrichtszeit von Bauch- oder Kopfschmerzen geplagt werden, manchmal auch nur ein Pflaster brauchen, weil sie sich auf dem Schulhof das Knie aufgeschlagen haben.

Die Krankenschwester versieht einen Dienst, wie es ihn an Hamburger Schulen nur dieses eine Mal gibt.

Den Beruf der Schulkrankenschwester gibt es in der Hansestadt nicht. Frau Alagöz übt dennoch genau diese Funktion aus.

Schulleiter Ruben Herzberg hat lange dafür gekämpft, dass sich eine erfahrene Krankenschwester im Krankenzimmer des Gymnasiums um die Schüler kümmert. "Als ich vor 15 Jahren Schulleiter wurde, hatten wir 400 Schüler, heute sind es fast 1000", sagt der Pädagoge. Seither hätten sich die Anforderungen an die Schule erheblich verändert. "Die Schule hat ein großes Einzugsgebiet und einen hohen Anteil an alleinerziehenden Eltern. Die Mutter, die wartet, dass das Kind nach Hause kommt, die gibt es kaum mehr. Deshalb müssen wir uns um kranke Kinder, die wir nicht mitten am Tag nach Hause schicken können, in der Schule kümmern", sagt Herzberg.

Außerdem müsse die Schule jeder einzelnen ungeklärten Abwesenheit nachgehen. "Wenn ein Kind fehlt, aber nicht krankgemeldet wurde, muss jemand zu Hause nachfragen", sagt Herzberg. Damit seien die Sekretärinnen irgendwann überfordert gewesen.

Tessa-Marina Alagöz war zu jener Zeit als Rückkehrerin des Landesbetriebes Krankenhäuser (LBK) auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Sie gehört zu denjenigen Mitarbeitern des Klinikunternehmens Asklepios, die nach der Privatisierung des LBK wieder bei der Stadt arbeiten wollten. Die Stadt hatte sich 1995 verpflichtet, allen Rückkehrwilligen einen Job anzubieten. Im Gefängnis Hahnöfersand hatte sie hospitiert, "aber das war nichts für mich". Auch beim TÜV, wo sie probehalber in der Abteilung für Auto-Ab- und -Anmeldungen arbeitete, war es ihr zu öde, "jeden Tag der gleiche Handgriff".

Dann vermittelte ihr ihre Betreuerin vom Projekt Interner Arbeitsmarkt (PIA) im Personalamt der Stadt die Anfrage von Ruben Herzberg. "Ich habe sofort einen Termin gemacht und am 3. November 2008 an der Schule angefangen", erzählt Alagöz. Ihre Stelle ist stets für ein Schuljahr befristet. "Man hatte mir angetragen, in Rente zu gehen. Aber ich möchte hier arbeiten, bis ich 63 bin", sagt Alagöz.

Herzberg lässt keinen Zweifel daran, dass er seine Schulkrankenschwester, die es offiziell gar nicht gibt, unbedingt behalten will. "Die Situation an der Schule hat sich schlagartig verbessert, seit sie hier ist", sagt er. Er verweist auf Großbritannien und Israel, wo Schulkrankenschwestern fest zum Personalstamm von Schulen gehören.

Frau Alagöz, die lange in der Altenpflege und danach in der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung im Krankenhaus St. Georg gearbeitet hat, nimmt morgens ab halb acht die telefonischen Krankmeldungen entgegen, damit die Lehrer wissen, wer entschuldigt ist. Danach wartet sie im Krankenraum auf ihre "Kundschaft". Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und kleine Verletzungen sind die häufigsten Beschwerden der Schüler. Der 14-jährige Frits kommt an diesem Vormittag mit Halsschmerzen. "Die werden schlimmer", sagt der Schüler aus der 8a mit belegter Stimme. Die Krankenschwester guckt ihm in den Hals und rät, Eiswürfel zu lutschen. Sie holt ein paar aus dem Kühlschrank, in dem sie auch eine Reihe von Kühlpacks bunkert. Bei Bauchschmerzen bietet sie den Kindern Tee an und eine Wärmflasche. "Frau Alagöz tut gut", sagt Frits, ehe er den Raum verlässt.

Der Krankenbetreuungsraum ist funktional eingerichtet: eine nüchterne Krankenliege, ein schwarzes Ledersofa mit einer roten Kuscheldecke, Kühl- und Medizinschrank und ein Schreibtisch. Dort schafft ein Teppichboden ein wenig Gemütlichkeit, unter der Krankenliege ist Linoleum verlegt ("falls mal einer mit Nasenbluten kommt oder jemandem übel ist"). Eine Epidemie wie im vergangenen Jahr, als gleich 285 Schüler am Noro-Virus erkrankten, ist glücklicherweise die Ausnahme. Da sei sie auch "machtlos", sagt Frau Alagöz. "Da kann man die Kinder nur schnell nach Hause schicken und hoffen, dass man es selbst nicht kriegt." Sie sei allerdings nur ganz selten krank.

Frau Alagöz arbeitet gerne am Gymnasium Klosterschule, am liebsten bis zur Rente. Die Schule wünscht sich das auch und kämpft darum, Frau Alagöz langfristig zu halten. Dafür muss die Schule auch was tun. "Wir beteiligen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten an der Finanzierung der Stelle", sagt Ruben Herzberg. Die Schulbehörde gibt sich kooperativ: "Es ist davon auszugehen, dass Frau Alagöz an der Schule bleiben kann", so eine Sprecherin.