Jungen sind sein tägliches Geschäft: Marcus Thieme berät Lehrer und gibt ihnen Tipps, wie sie männliche Schüler besser fördern können.

Hamburg. Marcus Thieme sieht genau so aus, dass Jungs sich mit ihm identifizieren können. Er trägt Jeans, Sneaker und einen goldenen Ring im Ohr. Seine Haare haben genau den fransigen Surferschnitt, der bei Jugendlichen angesagt ist.

Jungen sind sein tägliches Geschäft - als Lehrer und als Beauftragter für Jungenpädagogik am Landesinstitut für Lehrerbildung in Hamburg. Diese Stelle gibt es zwar erst seit dem 1. Februar 2010, der 38-Jährige befasst sich allerdings schon viel länger damit, dass man für Jungen mehr tun muss, als es bislang an vielen Schulen üblich war. Thieme bietet Fortbildungen für Referendare und Lehrer an und berät darüber hinaus Schulleitungen, wie sie Jungenpädagogik in den Schulalltag implementieren können. "Das Interesse wird immer größer, es kommen immer mehr Anfragen", betont Thieme. "Wenn Schulen anfragen, organisiere ich individuell zugeschnittene schulinterne Fortbildungen." Denn jede Schule, auch abhängig vom Stadtteil, habe besondere Anforderungen. Für Februar 2011 plant Thieme eine Fachtagung zum Thema "Jungenarbeit - Jungenpädagogik".

Thieme betont, es gehe nicht darum, Jungen zu bevorzugen. Er wolle den Lehrern einen "geschlechtersensiblen Blick vermitteln". Der Pädagoge ist auch zurückhaltend mit festen Rollenzuschreibungen, aber: "Es gibt bestimmte Eigenschaften, die eher Mädchen oder Jungen zugeschrieben werden", sagt Thieme. "Bei Jungen scheint der Bewegungsdrang schon größer zu sein", sagt der Vater von zwei Jungen, "und vielleicht sind Mädchen kommunikativer."

Thieme hat schon früh Erfahrung in der Jugendarbeit gesammelt - als Gruppenleiter bei den Pfadfindern und als Ausbilder der Gruppenleiter. Auch an seiner Schule, der Ida-Ehre-Stadtteilschule in Eimsbüttel, an der er seit 2003 unterrichtet, nahm der Pädagoge sich rasch der Jungen an. "Ich habe mit ein paar Jungs aus meiner Klasse Ideen gesammelt, um einen Raum umzugestalten." Zum Toben, Rangeln, Spielen und Reden. Letzteres sei ganz wichtig: "Über Gefühle zu reden, Schwäche zu zeigen ist unter Jungs noch immer verpönt. Ich habe aber festgestellt, dass ihnen das ein dringendes Bedürfnis ist. Dazu brauchen sie einen geschützten Rahmen", sagt Thieme, der Gesellschaftskunde, Technik und Darstellendes Spiel unterrichtet.

Den Lehrern, die bei ihm Hilfestellungen suchen, rät er zu Bewegungspausen. Zum Beispiel Jungen und Mädchen mitten im Unterricht einmal über den Schulhof laufen zu lassen, damit sie sich danach wieder konzentrieren können.

"Ich plädiere außerdem für individualisierten Unterricht, weil es Themen gibt, die Jungen mehr ansprechen." Auch einzelne Projekte könne man gezielt auf Jungen oder Mädchen ausrichten. "Wichtig ist das zum Beispiel im Sexualkundeunterricht."

Dass Jungen im Zusammenhang mit Schule derart in den Blickpunkt gerückt sind, ist nach Ansicht von Thieme die Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung. "Seit den 80er-Jahren stand die Mädchenförderung im Mittelpunkt. Die Jungs sind vielleicht nicht schlechter geworden, aber die Mädchen nutzen inzwischen ihre Möglichkeiten sehr viel besser als früher."

Das zeigt sich auch in der Abiturientenquote: die der Mädchen liegt bei 55 Prozent, die der Jungen bei 45 Prozent. Und auch bei den Hauptschülern waren zwei Drittel männlich.