Silke Herrmann ist Literaturwissenschaftlerin mit Doktortitel. Zwei Jahre lang unterrichtet sie Gesamtschüler.

Hamburg. In manchen Momenten fühle sie sich fast wie ein Popstar. Wenn sie über den Pausenhof geht und ein paar Jugendliche kreischen: "Hey, Frau Herrmann, was geht?" Wenn sie über den Flur eilt und die Mädchen ihr wie Freundinnen zuwinken. Wenn sogar die Jungs, die sich sonst so gern hart und halbstark geben, ihr hinterherrufen: "War echt cool, Ihre Idee mit dem ,Faust' als Theaterstück."

In diesen Momenten strahlt Silke Herrmann. Noch mehr als sonst. Sie winkt zurück, sie fragt zurück. Nico, wie es denn in Englisch klappe. Esra, ob die Erkältung weg sei. Ben, ob er sich jetzt im Unterricht besser konzentrieren könne. Silke Herrmann kennt viele der 620 Schüler mit Namen. Obwohl sie erst seit einem halben Jahr an der Gesamtschule Finkenwerder im Einsatz ist. Als Lehrerin auf Zeit, für insgesamt zwei Jahre.

Die zierliche, dunkelhaarige Mittdreißigerin ist keine ausgebildete Pädagogin, hat das Basiswissen in einem zweimonatigen Schnellkursus in Lüneburg gelernt. Sie ist das, was die gemeinnützige Initiative Teach First einen "Fellow" nennt. Sie ist das, was sie selbst augenzwinkernd "Luxus-Lehrkörper" nennt. Weil sie Zeit hat und sich Zeit nehmen kann. Für die Schüler, für deren individuelle Förderung, für besondere Projekte. "Es geht überhaupt nicht darum, Lehrer zu ersetzen. Sondern darum, sie zu unterstützen", sagt Silke Herrmann, die in der Nähe von Heidelberg aufgewachsen ist.

An der Universität von Frankfurt an der Oder hat sie studiert. Mit drei Stipendien und Einser-Examen. Ist Diplom-Kulturwissenschaftlerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Hat in Berlin gelebt, dort schon für einen großen Verlag gearbeitet. Silke Herrmann, ganz in Schwarz gekleidet, ist zu bescheiden, um es zu sagen. Aber sie ist zweifelsohne eine Spitzenabsolventin mit Aussicht auf eine steile Karriere. Genau wie bundesweit alle 66 jungen Akademiker, neun davon in Hamburg, die jetzt noch einmal zwei Jahre lang zur Schule gehen - meist in sogenannten sozialen Brennpunkten mit "besonderen pädagogischen Herausforderungen". Für ein Referendarsgehalt von monatlich 1700 Euro brutto.

Für dieses Projekt nach amerikanischem Vorbild, das derzeit in Berlin, Nordrhein-Westfalen und eben in Hamburg läuft, hatten sich in Deutschland mehr als 700 Universitätsabsolventen beworben. Denn in den Vereinigten Staaten, wo es dieses "Hilfslehrer-Modell" bereits seit 1990 gibt, suchen sich große Unternehmen gern als Führungskräfte eben jene jungen Menschen aus, die den Härtetest im Klassenzimmer gemeistert haben.

Darum gehe es ihr aber gar nicht, sagt Silke Herrmann und rückt ihre modische Brille zurecht. "Ich war sehr privilegiert in meiner Ausbildung. Jetzt möchte ich etwas zurückgeben." Und die Zeit als Phase zur beruflichen Orientierung nutzen. "Mal sehen, welchen Weg ich einschlagen werde."

An diesem Vormittag schlägt sie zunächst den Weg ins erste Obergeschoss des Anbaus ein, zum "Lesepaten-Projekt" der 6c. "Ihr kennt das ja schon - setzt euch in Zweiergruppen zusammen, und dann lest ihr einander vor", sagt Silke Herrmann fröhlich zu den elf Schülern, von denen etwa die Hälfte einen Migrationshintergrund hat. "Wichtig ist, dass ihr den jeweiligen Vorleser zwischendurch auch mal lobt." Einmal in der Woche erteilt die promovierte Literaturwissenschaftlerin diesen gezielten Förderunterricht. "Es ist unglaublich motivierend zu beobachten, wie die Schüler von Woche zu Woche besser werden."

Außer Deutsch und Englisch unterrichtet Silke Herrmann auch Französisch, das durch sie am Nachmittag als freiwillige dritte Fremdsprache angeboten wird. Und die Nachfrage sei groß, mehr als 30 Schüler machten schon mit, sagt Silke Herrmann ein bisschen stolz: "Das hängt auch damit zusammen, dass die Schule im Einzugsgebiet von Airbus liegt." Langfristig würde sie gern einen Schüleraustausch mit einer Partnerschule in Frankreich organisieren, sagt die Lehrerin auf Zeit. Erst einmal wolle sie aber beim Aufbau der "Biblio-Mediothek" helfen.

Es ist gerade dieses Engagement, das die Schulleitung so schätzt. "Silke Herrmann ist eine große Bereicherung. Im Unterricht können Schüler individueller gefördert und in der Projektarbeit neue Angebote geschaffen werden", sagt Klaus Oyss, stellvertretender Schulleiter der GS Finkenwerder, die seit vergangenem September eine Ganztagsschule ist. "Der Hauptgrund, warum wir uns bei Teach First um Fellows beworben haben", so Schulleiterin Antje Bernhardi. Denn außer Silke Herrmann ist auch der promovierte Informatiker Johannes Knabe als Hilfslehrer im Einsatz.

In manchen Momenten fühle sie sich aber auch nicht wie ein Popstar, sagt Silke Herrmann. Eher wie ein Rennfahrer mit hohem Adrenalinspiegel. "Man steht unter Strom, es ist laut, jeder zerrt an mir und will etwas - am besten sofort."

Bei den Zehntklässlern muss sie erst einmal für Ruhe sorgen. "Hey, herzlichen Glückwunsch", sagt sie deutlich akzentuiert. "Man höre und schreibe, mit eurer Schülerzeitung haben wir den zweiten Preis geholt, hinter Blankenese!" Es wird ein wenig lauter in den hinteren Reihen. "Die sind doch bloß Erster, weil sie mehr Geld haben!", ruft ein Schüler. Das stimme so nun nicht, sagt Silke Herrmann und leitet geschickt zur Textarbeit über.

Nein, Finkenwerder sei nun wahrlich kein sozialer Brennpunkt - eher ein Stadtteil, in dem Kinder aus ganz vielen verschiedenen Milieus zusammenkommen, sagt Silke Herrmann. Sie selbst wohnt in der Hamburger Neustadt in einer WG. Nimmt täglich die Fähre nach Finkenwerder. Und am Nachmittag zurück Richtung Landungsbrücken. "Dann freue ich mich aber immer schon auf meinen nächsten Schultag."