Die deutschen Schulen haben großen Nachholbedarf. Doch in den USA gibt es schon eine Gegenbewegung: weg von zu viel Technik.

Hamburg. "Wow", sagt Tugce (12) zu ihrer Sitznachbarin, "sieht es nicht toll aus, wenn man von oben auf die Erde guckt?" Gebannt sieht die Schülerin auf den Bildschirm des Netbooks vor ihr. Ein Klick, und sie zoomt sich nach Europa. "Das ist viel besser als die Landkarten, die wir im Erdkundeunterricht benutzen. Man kann sich die Welt besser vorstellen", sagt die Sechstklässlerin. Gemeinsam mit ihren Mitschülern von der Wittekind-Realschule aus Osnabrück ist sie zu Besuch im digitalen Klassenzimmer auf der Cebit in Hannover. "Neue Medien sind das Thema an Schulen", sagt ihr Mathelehrer Ralf Hehmann. "Und hier sehen wir, wie die Entwicklung weitergeht."

Tatsächlich hat der 150 Quadratmeter große Raum in Halle 4 so wenig mit einem normalen Klassenzimmer zu tun wie ein Laserpointer mit einem Stück Kreide. Gastgeber Microsoft hat Multitouch-Whiteboards an die Wände gehängt. Es gibt vernetzte Netbooks, Notebooks und sogenannte Surface-Tische, an denen mehrere Kinder gemeinsam an einer großen Multitouch-Oberfläche arbeiten können - direkt mit den Händen, ohne Maus und Tastatur. "Wir wollen zeigen, was im Bereich Lernen technologisch möglich ist", sagt Henrik Tesch, Direktor "Citizenship Corporate Affairs" bei Microsoft Deutschland. Das gilt nicht nur für Schüler, Lehrer und Eltern. Ziel sei, mit der Politik darüber ins Gespräch zu kommen, wo es im Bildungsbereich hingehen soll, sagt der Software-Manager und gibt auch gleich die Antwort. "2014 ist in neun von zehn Berufen Computerwissen notwendig. Wenn wir Kindern keine Medienkompetenz vermitteln, ist das für die Schüler keine gute Ausgangslage und schwächt zudem den Standort Deutschland."

Mit dem Schwerpunkt auf Bildungsinitiativen hat der Software-Konzern einen Nerv getroffen. Nach Einschätzung von Schülern, Eltern und Lehrern gehört der Umgang mit Computern und dem Internet dringend auf den Stundenplan. Nach einer aktuellen Studie von TNS Infratest im Auftrag von Microsoft erwarten 98 Prozent der Schüler und 90 Prozent der Eltern, dass die notwendigen Computerkenntniss in der Schule vermittelt wird. Auch die allermeisten Pädagogen (95,7 Prozent) sehen die Schulen in der Pflicht. Und besonders interessant ist: Ein Großteil der Lehrer (86 Prozent) hält Computerkenntnisse sogar für wichtiger als die Ausbildung in klassischer Literatur (66,4 Prozent).

Dagegen steht die Realität in deutschen Klassenräumen. Laut TNS-Untersuchung ist für 61 Prozent der Schüler die Nutzung elektronischer Medien im Unterricht noch immer die Ausnahme. Beispiel: die interaktiven Whiteboards. "In Hamburg arbeiten etwa 70 Schulen mit dem computergestützten Tafelersatz. Deutschlandweit sind gerade mal vier bis fünf Prozent der Klassen mit Whiteboards ausgestattet", sagt Jürgen Schließzeit vom unabhängigen Internetportal myboard.de. "Etwa 30 000 Geräte sind im Einsatz." In anderen europäischen Ländern wie etwa Großbritannien gehören die E-Tafeln dagegen längst zum Standard.

Sind deutsche Schulen also technikfeindlich? Ann Yuen, Marketing-Managerin von Hanshin Ltd. zuckt mit den Schultern. Die Firma mit Sitz in Hongkong stellt unter anderem leicht zu bedienende Whiteboards her, die mit etwa 1000 US-Dollar sogar unter dem üblichen Preisniveau liegen. "Es kommen Lehrer an unseren Stand", sagt Yuen, "aber nicht aus Deutschland." Auch bei "schola.pt", einem Zusammenschluss portugiesischer Firmen unter dem Dach des Bildungsministeriums, ist man enttäuscht über das zögerliche Interesse auf der Cebit. "Ich glaube, die Ängste sind groß", sagt Rui Lopez, Manager der Firma Nautilus, die unter anderem spezielle Tische mit ausklappbarem Monitor baut. "Bei uns in Portugal wird nicht so lange diskutiert, das Ministerium ordnet an."

Dabei ist nicht alles gut, nur weil Computer im Einsatz sind. Schon länger gibt es ausgehend von den USA eine Gegenbewegung unter dem Schlagwort Web O.O. Nachdem Untersuchungen ergeben haben, dass die digitale Aufrüstung die Leistung der Schüler nicht nachweisbar verbessert, schwören manche Schulen dem Hightech ab. Motto: Geschichte statt Super Mario. Aber ohne geht es auch nicht. "Die Erwartung an die Schule ist, dass die Schüler den Umgang mit Computern lernen", sagt Gabriele Jensen von der Freiherr-vom-Stein-Schule in Kiel.

Neben mangelndem Mut und fehlenden pädagogischen Konzepten gibt es noch ein weiteres Problem: Die meisten Schulen können sich eine moderne Computerausstattung schlicht nicht leisten. Nicht nur deshalb zog eine Entwicklung aus Russland Interessenten an. Studenten der Moskauer Universität haben eine Art virtuelles Whiteboard entwickelt. Statt der teuren Multimedia-Tafel brauchen sie neben PC, Beamer, drahtloser Web-Cam und einem Laserpointer nur eine weiße Wand. Ihre Software kostet 12 US-Dollar. "Eigentlich haben wir das für Entwicklungsländer entwickelt", sagt Sergey Efremov, Technical Director des inzwischen gegründeten Start-up-Unternehmens. "Es ist eine sehr einfache Lösung, die gerade in Schulen gut funktioniert, weil viel weniger kaputtgehen kann." Sogar Microsoft interessiere sich inzwischen für das Produkt.

Wie der Einsatz von PCs und Internet zu innovativeren Lehrmethoden, eigenverantwortlichem Lernen und zur Entfaltung unterschiedlicher Fähigkeiten beiträgt, lässt sich während der Cebit im digitalen Klassenzimmer des Software-Riesen Microsoft beobachten. 500 Schulkinder haben sich zum Probelernen angemeldet. Statt Frontalunterricht wird Berufsvorbereitung per Videoanimation angeboten oder das Erkunden von Tierkreiszeichen auf der Basis des "World Wide Teleskope" und von animierten Sternenkarten. "Wir wollen Schüler und Lehrer da abholen, wo sie sind", sagt Thomas Schmidt von Helliwood media & education, dort wurde die Lernoberfläche entwickelt.

Die Schüler sind angetan. "Das Lernen ist abwechslungsreicher", sagt Sechsklässler Dimitri aus Osnabrück. Zu Hause surft der Zwölfährige schließlich auch regelmäßig im Netz. "Wenn wir das nicht in den Unterricht integrieren", sagt sein Lehrer Ralf Hehmann, "wird Schule zum lebensfremden Umfeld."