Gibt es heute kein Signal in Richtung Kompromiss, rückt die Einigung in weite Ferne. Neuer Verein unterstützt Reform.

Wenn die 16 Unterhändler der schwarz-grünen Koalition und der Volksinitiative "Wir wollen lernen" sowie der Moderator und Unternehmer Michael Otto heute Nachmittag in Raum 186 des Rathauses zusammentreffen, dann wird es eine Vorentscheidung geben. Entweder kommt ein klares Signal auf einen möglichen Kompromiss hin oder eben nicht. Falls nicht, würden die Einigungs-chancen gegen null sinken.

Das Ringen um die Schulreform mit dem Zankapfel sechsjährige Primarschule kommt an den zentralen Punkt. Auf der einen Seite steht das schwarz-grüne Bündnis, das den Kern der Reform, das längere gemeinsame Lernen, auf jeden Fall erhalten will. Auf der anderen Seite die Initiative um den Rechtsanwalt Walter Scheuerl, die gestern erstmals eine Einführung der Primarschule auf freiwilliger Basis angeboten hat. Doch ein solcher Schulversuch mit wissenschaftlicher Begleitung wird noch keine Einigung möglich machen.

Obwohl beide Seiten nach wie vor ihre prinzipielle Bereitschaft zum Kompromiss betonen, laufen die Vorbereitungen für einen möglichen Volksentscheid bereits an. Scheuerl hatte schon vor einer Woche angekündigt, dass sich seine Initiative auf diesen Fall einrichtet. Gestern war jedoch der Tag, an dem sich die Befürworter der Reform zu Wort meldeten. Der neu gegründete Verein "Chancen für alle - Hamburger Allianz für Bildung" will die Unterstützer-Gruppen unter seinem Dach bündeln. "Wir sind eine parteiübergreifende Initiative und werden uns lautstark und heftig in die Debatte einmischen", kündigte der Allianz-Sprecher Prof. Jobst Fiedler an. Der frühere Harburger Bezirksamtsleiter (SPD-Mitglied seit 1967) lehrt an der Hertie School of Governance in Berlin, wohnt aber in Hamburg.

Die "Allianz für Hamburg" tritt für die flächendeckende Einführung der Primarschule ein und fordert ein Letztentscheidungsrecht für Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schule nach Klasse sechs. "Wir sind eine breite gesellschaftliche Allianz", sagte Fiedler. Vermutlich werde es zum Volksentscheid im Sommer kommen. "Wir bereiten uns darauf vor. Jetzt heißt es nicht mehr Bürger gegen Senat, sondern Bürger gegen Bürger", sagte Fiedler kampfesbereit an die Adresse der Primarschulgegner.

"Man kann mit dem heutigen Hamburger Schulsystem nicht zufrieden sein. Zu viele Schüler wechseln nicht in die für sie richtige Schulform", sagt Wolfgang Dittmar, Ex-Schulleiter des Gymnasiums Hamm. Die sechsjährige Primarschule werde mehr Gerechtigkeit und Chancen bedeuten, gerade auch für die Kinder mit Migrationshintergrund.

Der Allianz gehören mehrere prominente Sozialdemokraten an: Ex-Schulsenatorin Rosemarie Raab, Ex-DGB-Chef Erhard Pumm und Frank Teichmüller, der frühere Vorsitzende der IG-Metall Küste. Mit Studio-Hamburg-Chef Martin Willich zählt aber auch ein prominenter Christdemokrat zu den Gründungsmitgliedern.

Unterdessen haben auch mehrere renommierte Erziehungswissenschaftler aus dem Bundesgebiet, der Schweiz und Österreich Partei für die Primarschule ergriffen. "Systeme mit früher Auslese trennen Schüler in einem Alter, in dem viele für ein späteres Zusammenleben in der Gesellschaft notwendige Lebensformen und Verständigungsmöglichkeiten noch nicht erfahren und eingeübt worden sind", sagte Prof. Hartmut von Hentig von der Uni Bielefeld. Zu den Unterzeichnern eines Pro-Reform-Aufrufs von 52 Erziehungswissenschaftlern der Uni Hamburg (wir berichteten) zählen inzwischen neben von Hentig auch Prof. Jürgen Oelkers aus Zürich und Prof. Klaus-Jürgen Tillmann aus Bielefeld. "Wissenschaftliche Studien zeigen uns, dass in einer sechsjährigen gemeinsamen Grundschule insbesondere Schüler mit schwachen Leistungen (in Hamburg sind das rund ein Viertel) gut gefördert werden können", heißt es in dem Aufruf der Hamburger Professoren. Zugleich zeigten die Studien, dass leistungsstarke Schüler "in ihrem Lernfortschritt nicht beeinträchtigt" würden.

Der SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz appellierte gestern an die Verhandlungsführer der schwarz-grünen Koalition und der Volksinitiative, "jetzt nicht unnötig nervös zu werden". Die Verhandlungen müssten nicht zwingend in dieser Woche zum Ergebnis führen.