Der Reform-Pädagoge war Anti-Demokrat, Rassist und Nazi - auch nach dem Ende des Nationalsozialismus. Das belegen Forschungen eindeutig.

Hamburg. Ein Denkmal wackelt nicht nur, es stürzt: Peter Petersen, einer der Säulenheiligen der Reformpädagogik und in den 20er-Jahren Autor des "Jena-Plans", war Rassist, Antisemit und Anti-Demokrat. Das belegen jüngere Forschungen eindeutig. Rund 200 Schulen, die den Namen Petersens tragen, stehen nun vor der Frage, ob sie sich von dem belastenden Erbe befreien.

"Der Name ist nicht mehr haltbar, weil Peter Petersen nicht mehr als Vorbild und Orientierungspunkt dienen kann", sagte Ute Pape, Schulleiterin der Peter-Petersen-Gesamtschule (PPS) in Wellingsbüttel gestern Abend im Anschluss an eine Sitzung der Schulkonferenz. "Wir sind mit dem Namen nicht mehr glücklich und zufrieden", sagte auch Norbert Bauer, PPS-Elternratsvorsitzender.

Pape hatte in der vergangenen Woche in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung (LI) drei Erziehungswissenschaftler an die Schule geholt, um über Petersen zu informieren. Das Ergebnis fiel eindeutig aus.

Benjamin Ortmeyer von der Frankfurter Goethe-Universität betonte vor allem, dass sich Petersen nicht einmal nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus von dessen Gedankengut distanziert habe. So schrieb der Pädagoge 1950, dass sich der Nationalsozialismus unter dem Einfluss einer Gruppe "satanischer Menschen" in einen "teuflischen Nazismus" verwandelt habe. Die Gruppe an der Spitze des NS-Staates "bewirkte in jeder Hinsicht durchaus das Gegenteil von dem, was das kompilierte Programm des Nationalsozialismus verhieß". Petersens Bilanz der NS-Jahre: "... die Zeugen einer Kultur von tausend Jahren für immer vernichtet, das Volksleben in seinen Grundfesten erschüttert und verwildert, das deutsche Volk rassisch verunreinigt".

Ortmeyer sieht in dem publizistischen Testament, erst nach Petersens Tod 1954 veröffentlicht, "die Lebenslüge" einer ganzen Generation. "Im Klartext bedeutet es: Der Nationalsozialismus und sein Programm werden für gut befunden, aber Hitler und seine Mitstreiter haben sich angeblich an das eigene Programm nicht gehalten", sagte Ortmeyer, der mit seinem Buch "Mythos und Pathos statt Logos und Ethos. Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in NS-Zeit" die Debatte ausgelöst hat.

Die Fallhöhe Petersens ist beträchtlich: Seine Pädagogik sah schon in den 20er-Jahren jahrgangsübergreifenden Unterricht, Gruppen- statt Zentralunterricht und die Einbeziehung der Eltern vor - alles Elemente moderner Pädagogik. Petersen gründete 1924 die Jenaer Universitätsschule, die nach seinem "Jena-Plan" arbeitete. Prof. Jürgen Oelkers, Erziehungswissenschaftler an der Universität Zürich, wies vor rund 80 Zuhörern in der Aula der PPS darauf hin, dass Petersen "ein entschiedener Gegner der Weimarer Republik" war. "Er vertrat einen völkischen Realismus, der nichts mit Demokratie zu tun hatte. Er war antiliberal und antiindividualistisch", so Oelkers.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten radikalisierten sich die Positionen Petersens. Nur ein Beispiel von vielen: "Weil es dem Juden unmöglich wird, unsre Art innerlich mitzuerleben, so wirkt er in allem, das er angreift, für uns zersetzend, verflachend, ja vergiftend und tritt alles in den Dienst seines Machtstrebens", schrieb Petersen 1933.

"Man muss sich von Petersen distanzieren. Er ist als Namensgeber nicht geeignet", lautete das Fazit des Hamburger Erziehungswissenschaftlers Prof. Reiner Lehberger. Bleibt die Frage, warum Petersens NS-Verstrickung erst jetzt ein Thema wird. Zu Beginn der 50er-Jahre war sein "nationalsozialistisches Gedankengut" an der damaligen Jena-Plan-Schule durchaus bekannt. Trotzdem wurde die Schule 1954 nach Petersen benannt.

Der Reformpädagoge hatte sich gegen den Anti-Demokraten durchgesetzt. Als der damalige Schulsenator Joist Grolle 1984 zum 100. Geburtstag Petersens an der Schule ein Grußwort hielt, erwähnte er dessen NS-Vergangenheit mit keinem Wort.