Schon 40 Schulen bieten T-Shirts und Sweater an. Tendenz steigend. Doch nach wie vor gibt es viele Vorbehalte.

Sadaf (14) sucht ihre Sweatjacke. "Ich hatte die lilafarbene", ruft sie und guckt panisch. In der improvisierten Garderobe in der Schule Hegholt in Bramfeld brennt die Luft. 20 Mädchen reden gleichzeitig, lachen, kreischen. Auf Bügeln am Regal hängen Jacken, T-Shirts und Polos, jeweils vorbereitet mit Laufzettel für jedes der Schülermodels. Sadaf hat endlich ihre Jacke gefunden. "Die sieht echt cool aus", sagt sie und zeigt auf das künstlerisch verschlungene Schullogo an der Seite. "Ich finde es toll, wenn wir alle so eine tragen." Gleich soll die Achtklässlerin raus auf den Laufsteg, um die Hegholt-Schulkollektion zu präsentieren. Die Besucher in der Aula klatschen schon.

In den vergangenen Monaten hat die Bramfelder Grund-, Haupt- und Realschule mit der Otto Group und der Hamburger Arbeit als Teil des Hamburger Hauptschulmodells ein ganz besonderes Projekt auf die Beine gestellt. "Wir wollten zeitgemäße Schulkleidung, die Jugendliche gern tragen", sagt Schulleiter Joachim Gravert (60). Inzwischen steht die erste Hegholt-Kollektion: sieben verschiedene Modelle in fünf Farben, modisch und pfiffig geschnitten. Dazu gibt es Accessoires wie Turnbeutel, Federtaschen und Schals. Ein T-Shirt kostet 10 Euro, ein Sweater 27 Euro. Die ersten Reaktionen sind positiv. "Es ist beabsichtigt, das Projekt auch auf andere Schulen zu übertragen", sagt Otto-Projektleiter Gerd Knop.

Einheitslook statt Markenwahn. An knapp 40 Hamburger Schulen gibt es derzeit Sweatshirts, T-Shirts und Sportsachen im Schulstil (s. unten). In den vergangenen Jahren ist die Zahl stark gestiegen. Dahinter steckt die Idee, über die einheitliche Kleidung die Identifikation mit der Schule zu erhöhen. Aber anders als in den angelsächsischen Ländern haben Schuluniformen in Deutschland keine Tradition. Eine einheitliche Reglung ist nicht umsetzbar. Schulpolitik ist Ländersache. Zudem würde die Verordnung von Schulkleidung gegen die "freie Entfaltung der Persönlichkeit" (Grundgesetz Artikel 2) verstoßen. Es geht also nur freiwillig.

Bundesweiter Vorreiter war die Haupt- und Realschule in Sinstorf. Dort hat Lehrerin Karin Brose (59) vor neun Jahren Schulkleidung eingeführt - und zwar als Pflicht. Alle Schüler büffeln in Dunkelblau. Die Erfahrungen sind positiv: "Es gibt weniger Ausgrenzung und weniger Mobbing. Das Wohlbefinden ist gestiegen", sagt die Lehrerin, die seit 1990 an der Schule Deutsch und Englisch unterrichtet. Entscheidend ist, so die glühende Verfechterin des Einheitslooks, die eine eigene Internetseite betreibt und unzählige Schulen beraten hat: "Es geht um eine Erziehung zum Wir-Gefühl - mit Unterstützung der Schulkleidung."

Eine Untersuchung von Professor Oliver Dickhäuser, Psychologieprofessor an der Uni Mannheim, belegt die Einschätzung der Praktikerin: "In Klassen, in denen die Schüler bereits seit zwei oder drei Jahren die Schulkleidung tragen, herrscht ein besseres Sozialklima, eine höhere Aufmerksamkeit - und sie fühlen sich sicherer." In einer neueren Vergleichsstudie ("Machen Kleider wirklich Schule?", 2009) kommt er allerdings zu einem diffuseren Bild. Danach konnten "keine Effekte der Einheitskleidung auf schulbezogene Einstellungen nachgewiesen werden". Das betrifft vor allem auch Leistungssteigerungen.

Während vor allem konservative Politiker, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder Bildungsministerin Annette Schavan (CDU), sich in der Vergangenheit immer wieder für Schulkleidung ausgesprochen haben, hält sich die Hamburger Schulbehörde bedeckt. "Das Ziel muss sein, in der Schule eine Atmosphäre der Gemeinsamkeit und der Zusammengehörigkeit zu erreichen. Dabei kann Schulkleidung, etwa im Rahmen der Entwicklung eines Leitbildes, eine wichtige Rolle spielen", sagt Sprecherin Brigitte Köhnlein.

Es gibt auch zahlreiche Gegner. Da werden Erinnerungen an die Uniformen der Hitlerjugend oder FDJ heraufbeschworen. Ein weiteres Argument: Man nehme Jugendlichen ein Mittel, "sich selbst auszudrücken". Auch manche Hamburger Schulleiter lehnen die Einführung von Schulkleidung kategorisch ab:"Die Stärke der Schule liegt in der Vielfalt ihrer Kultur", lautete eine Antwort bei einer Umfrage des Abendblatts vor zwei Jahren.

Inzwischen gehen die meisten Schulen eher pragmatisch mit dem Thema um. Zum Beispiel das Gymnasium Allee in Altona: Dort war vor drei Jahren der fünfte Jahrgang einheitlich eingekleidet worden. "Es hat sich nicht durchgesetzt. Und verordnen wollte ich es nicht", sagt Schulleiter Ulrich Mumm. Um die Schüler zu motivieren, ihre Schulkleidung auch anzuziehen, will er jetzt einen Preis ausgeloben. Sieger wird die Klasse, in der die meisten Schüler die T-Shirts tragen.

An der Schule Hegholt kam die Initialzündung für den Einheitslook von den Schülern selbst. "Wir wollen niemanden zwangsverpflichten, sondern mit Styling und Konzept überzeugen", sagt Schulleiter Gravert. Im Rahmen des Hamburger Hauptschulprojekts knüpfte er Kontakt zum Partnerunternehmen Otto - und traf auf offene Ohren. Mit den Profis des Otto Design House entwickelten die Schüler Schnitte und ein Logo, das Elemente des Schulwappens, der Hammaburg und des Emblems von Partnerverein Freezers verbindet. Produziert wurden die Musterteile von zwölf Auszubildenden des Beschäftigungsprojekts Hamburger Arbeit in Rahlstedt - aus fair gehandelter Baumwolle über das Projekt "Cotton made in Africa". Zusätzlich soll die Einführung der Schulkleidung künftig auch im Unterricht eine Rolle spielen: "Wir binden das über ein Projekt zum globalen Lernen ein", so Gravert. Auch bei der Hamburger Arbeit hofft Regionalleiterin Brigitta Steen (46) auf einen Schulkleidungs-Boom. "Wir wollen neue Arbeitsplätze schaffen."

Gestern Abend drehte sich erst mal alles um die Begeisterung für neue Schulmode. Unter großem Jubel marschierten die Schüler über den Catwalk. "Einfach cool", urteilt Marcel (12), ein breiter "Schrank" in Buggy-Hosen. "Ich finde es toll, wenn man gleich erkennt, dass wir alle von einer Schule sind", meint Elias (10). Auch die Eltern waren angetan. "Dann gibt es keine Hänseleien mehr wegen einer falschen Hose", sagt Ursula Ebeling (49). Es gibt natürlich auch skeptische Stimmen. "Mal gucken, wie lange es funktioniert", sagt eine Mutter. Achtklässlerin Sadaf aber will ihre Sweatjacke nach der Modenschau gar nicht wieder ausziehen. "Die ist so schön."