Ex-Bildungsstaatsrat Reinhard Behrens schreibt im Abendblatt.

Hamburg. Im Ziel herrscht doch Einigkeit: Die 25 bis 30 Prozent jedes Jahrgangs, die ohne oder mit einem schwachen Schulabschluss kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, müssen besser gefördert werden. Die Kontroverse: Wie kann man den Rückstand vieler Kinder in der Grundschule am besten ausgleichen - mit besserer, teurerer Sprachförderung vor der Grundschulzeit oder durch zwei zusätzliche gemeinsame Jahre?

Die schwarz-grüne Koalition hat sich für den zweiten Schritt entschieden und in großer Eile ein neues Schulgesetz beschlossen, das Ruhe bringen soll. Die Lage ist eine andere: Der Schulfrieden ist nicht in Sicht, der Zeitplan der Reform bleibt halsbrecherisch, die Finanzierung wird täglich unsicherer, und das durchgepeitschte Schulgesetz verspricht die Einheitsschule. Es bleibt hinter den Zusagen aus dem Koalitionsvertrag zurück.

Ein Schulgesetz beschreibt die vorgesehenen Schulformen in allgemeiner Form und ist so Grundlage für Rechtsverordnungen und Bildungspläne, die dann die Einzelheiten regeln. Und diese Papierberge erzeugt die zuständige Behörde ohne sehr effektiv mögliche Kontrolle durch leicht zu überlastende Gremienvertreter und Freizeitparlamentarier des Koalitionspartners.

Hier der Text, der im neuen Schulgesetz inhaltlich die Stadtteilschule beschreibt:

"Die Stadtteilschule ermöglicht ihren Schülerinnen und Schülern eine grundlegende und vertiefte allgemeine Bildung und ermöglicht ihnen entsprechend ihren Leistungen und Neigungen eine Schwerpunktbildung, die sie befähigt, nach Maßgabe der Abschlüsse ihren Bildungsweg an einer Hochschule oder in berufsqualifizierenden Bildungsgängen fortzusetzen. Die Schulen ermöglichen individuelles Lernen durch innere und äußere Differenzierung." (§ 15 Absatz 2, )-

Erstaunlich ist nun, dass § 17 (2) das Gymnasium mit exakt denselben Worten beschreibt! Wir haben also zwei Säulen mit gleicher Zielsetzung. Vorangehende Schulgesetze haben dem Gymnasium zumindest noch den Auftrag gegeben, nur "vertieft" zu arbeiten. Der Unterschied der Schulformen besteht also nur noch in der Dauer - 6 oder 7 Jahre bis zum Abitur. Dies kann nunfatal sein für die Stadtteilschule, die hier (wie schon die Gesamtschule der 70er-Jahre) nur mit dem Abitur wirbt. Die meisten Schüler der Stadtteilschule werden diese aber nur 3 oder 4 Jahre lang besuchen und auch sehr berufsnahe Angebote brauchen.

Wenn Schulformen gleich definiert werden, dann können die Richtlinien nicht sehr unterschiedlich ausfallen - und damit die Anforderungen für die Zulassung zum Gymnasium. Vor allem aber werden viele Eltern am Ende von Klasse 6 schwerlich die Nichtzulassung zum Gymnasium akzeptieren, wenn doch beide Schulen gleich sind und bei Problemen mit dem gymnasialen Tempo die Gymnasien äußere Differenzierung zur Unterstützung vorzuhalten haben - und das Sitzenbleiben als Risiko ist ja ohnehin abgeschafft. Da ist mit einer Lawine von Widersprüchen und Prozessen zu rechnen.

Keine Hoffnungen macht der Gesetzestext den Gymnasien und Gesamtschulen, die besondere überregional nachgefragte Angebote machen - sportliche, humanistische, musische, zweisprachige. "Die Primarschulen vermitteln allen Schülerinnen und Schülern in einem gemeinsamen Bildungsgang grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten." (§ 14 (3) - nirgendwo steht im Gesetz, dass besondere überregionale Angebote unterstützt werden sollen. Ebenso wenig ist erwartbar, dass zu Ende der Klasse 6 Schülerinnen und Schüler in allen Fächern Leistungen auf einem gesteigerten Niveau ermöglicht worden sind, das dem Lernstand Ende Klasse 6 der alten gymnasialen Beobachtungsstufe entspräche.

Ein Blick in den Kalender zeigt, dass Anfang 2012 der Bürgerschaftswahlkampf und die Schullaufbahnentscheidungen des ersten Jahrgangs der 6. Klassen der Primarschulen zusammentreffen können mit schulübergreifenden Leistungsvergleichen, die theoretisch auch die Arbeit der verschiedenen Primarschulen vergleichbar machen würden. Das wird politisch und schulfachlich eine spannende Zeit!

Meine Prognose: Es werden sich hohe Übergangsquoten zum Gymnasium "ergeben" mit vier politisch gewünschten Folgen: Es gibt weniger Streit durch Widersprüche gegen verweigerten Gymnasialzugang, die gute Arbeit der Primarschulen kann sich so die Behörde selbst bestätigen, man spart Geld, weil die Betriebskosten für Gymnasiasten geringer sind (Klassenfrequenz 28 statt 25), und durch unterschiedliche und oft geringere Leistungsstände werden Gymnasien, die ihre Standards halten wollen, in den Ruf schlimmer Paukanstalten gebracht werden können.

Trauriger Effekt für die Stadtteilschule: Sie wird einen schlechten Start haben. Die neue Koalition ab 2012, vielleicht mit derselben Senatorin und anderen Partnern, kann dann das Schulgesetz beim Worte der einheitlichen Beschreibung der beiden Säulen nehmen und die Einheitsschule bis Klasse 10 und dazu Oberstufenzentren einrichten.

Viele CDU-Schulleute haben seit Mai 2008 versucht, intensiv innerhalb des Koalitionsvertrags für Verbesserungen zu arbeiten, auch verbindliche Beschlüsse in ihrer Partei erreicht - leider weitgehend für den Papierkorb. So ist die Neigung verständlich, sich für Bewegungen außerhalb der Partei zu entscheiden, wenn nur dort noch die eigenen Ziele vertreten werden.