In meiner Jugend war ich glühender Fan von Reinhard Mey. Auch ich fand, dass die Freiheit über den Wolken wohl grenzenlos sein müsse, auf Erden war sie das damals leider nicht. Das bekam ich auf der erweiterten Oberschule Ernst Abbe in Eisenach (Thüringen) eines Tages heftig zu spüren.

Nachdem ich in der DDR-Jugendzeitschrift "neues leben" (eine Art Ost-"Bravo") eine vernichtende Kritik über den "bürgerlich-dekadenten" Liedermacher las, die in dem Satz gipfelte, dass Reinhard Mey "Mitbesitzer eines Flugzeuges" sei und auch noch "Porsche fahren" würde, war ich außer mir vor Wut. Um Reinhard Mey zu verteidigen, verfasste ich den ersten Leserbrief meines Lebens. Darin schrieb ich, dass weder der Porsche noch das Flugzeug die künstlerischen Leistungen meines Idols schmälern würden und dass unsere DDR-Interpreten bei ihren Einkommen auch "die Trabis stapeln könnten". Um der Sache Nachdruck zu verleihen, hing ich den Brief zunächst an die Wandzeitung in unserem Klassenraum und bat meine Mitschüler um ihre Unterschrift. Alle unterschrieben. Ein schöner Erfolg. Dachte ich.

Doch als ich am Nachmittag ins schuleigene Internat kam, um den Brief zu verschicken, erwartete mich dort bereits dessen Leiter und zitierte mich in sein Büro, um mir mit sehr ernsten Worten klarzumachen, dass ich mich in gefährliche Nähe des Klassenfeindes begeben habe. Unterschriftensammlungen seien nicht zulässig und wenn, dann nur, um für eine gute Sache zu kämpfen (wie die Freilassung eines verfolgten Kommunisten in den USA). Ich bekäme noch eine Chance und könnte auf der Schule bleiben, wenn ich mich sofort von der Sache distanzierte. Das tat ich umgehend, Reinhard Mey möge es mir verzeihen. Aber so sehr ich ihn verehrte, mein Abitur wollte ich seinetwegen trotzdem nicht aufs Spiel setzen. Und eines lernte ich aus dieser Sache: Überlege genau, unter welchen Text du deinen Namen setzt ...

An dieser Stelle erinnern sich Abendblatt-Redakteure regelmäßig an beeindruckende Erlebnisse in ihrer Schulzeit.

Ina-Maria Nießler, Ressort Wissen, besuchte von 1972 bis 1976 die erweiterte Oberschule Ernst Abbe in Eisenach (Thüringen).