Die Schule, an der ich mein Abitur machte, lag in Minden in Ostwestfalen und hörte auf den Namen staatliches altsprachliches Gymnasium.

So, wie es sich anhörte, sah es auch aus: alte, graue mit Efeu bewachsene Gemäuer mit Doppelfenstern. Und ich komme nicht umhin zu sagen, dass ein Teil der Lehrer in dieses Umfeld perfekt passte. Einer von ihnen war unser Direktor, der selbstverständlich Griechisch und Latein unterrichtete.

Anfang der 60er-Jahre, ich muss so in der 6. oder 7. Klasse gewesen sein, ließ dieser Direktor ein Rundschreiben in den Klassen verlesen. Inhalt: Mit Entsetzen habe er feststellen müssen, dass "meine Oberprima" (so hieß damals die 13. Klasse) keine deutschen Wanderlieder kenne. Weder Text noch Melodie. Das müsse sofort anders werden.

Die Folge war: In allen Klassen mussten die Deutschlehrer das deutsche Liedgut hervorholen, und wir Schüler mussten die Texte wie "Auf, du junger Wandersmann" oder "Das Wandern ist des Müllers Lust" auswendig lernen. Doch damit nicht genug.

Eines sonnigen Morgens musste sich die gesamte Schule, Schüler wie Lehrer, auf Geheiß des Herrn Oberstudiendirektors auf dem Schulhof einfinden. Wir nahmen klassenweise Aufstellung - immer drei Schüler nebeneinander. Alle bildeten einen großen Kreis um den Schulhof. Die Lehrer standen neben uns.

Und dann hieß es, im Kreis herumzumarschieren und dabei Wanderlieder zu schmettern. In der Mitte stand dann kontrollierend der Direktor.

Wir Schüler kamen uns blöd vor, zumal wir ahnten, dass wir uns jetzt von anderen Schülern in der Stadt eine Menge Spott würden anhören müssen. Auch vielen Lehrern war dieser Lieder-Umzug offenkundig peinlich. Der Direktor wurde bald abgelöst. Sang- und klanglos.

An dieser Stelle erinnern sich Abendblatt-Redakteure regelmäßig an beeindruckende Erlebnisse in ihrer Schulzeit.

Rolf Schriefer, Redaktionsleiter der Harburger Rundschau, besuchte von 1959 bis 1968 das altsprachliche Gymnasium in Minden/Westfalen.