In Workshops lernen Schüler mit Migrationshintergrund von denen, die es geschafft haben. Viele Schüler haben bislang teilgenommen.

Hamburg. Argjira ist 13 Jahre alt. Ihre Familie stammt aus dem Kosovo. Sie besucht die achte Klasse. Wenn es gut geht, macht sie in zwei Jahren ihren Schulabschluss. Leila Maxhuni ist 20 Jahre alt. Als sie drei war, ist sie mit ihrer Familie aus dem Kosovo nach Hamburg geflüchtet. Sie studiert Jura mit Schwerpunkt Völkerrecht, jobbt in einer Anwaltskanzlei und bei einem Bürgerschaftsabgeordneten. Seit Kurzem leitet sie einen Motivationsworkshop für Schüler mit Migrationshintergrund an der Schule Griesstraße in Hamm. Da haben Argjira und Leila sich kennengelernt. Seitdem hat Erfolg für Argjira ein Gesicht. "Vielleicht kann ich mir was abgucken."

Leila ist ein Vorbild. Genau darauf fußt das Projekt. "Gerade Schüler mit ausländischen Wurzeln haben oft nicht das Gefühl, dass sie im Leben erfolgreich sein können", sagt Bilinc Ercan, 29. "In den Workshops lernen sie Menschen kennen, die es geschafft haben." Die Rechtsreferendarin und frühere Referentin für Integration in der Senatskanzlei hat die Workshops 2008 initiiert. Inzwischen sind sie bei der Schulbehörde angesiedelt.

Mehr als 1000 Schüler an 26 Schulen haben bislang teilgenommen. Aktuell sind zehn Schulen dabei. Es gibt 59 Workshopleiter, darunter Rechtsanwälte, Unternehmer, Ärzte und Polizisten. Alle arbeiten ehrenamtlich. Die Kurse laufen über jeweils drei Monate und bestehen aus sechs Einheiten plus einem Elternabend. Die Teilnahme ist freiwillig - und oftmals nach Schulschluss

An diesem Nachmittag sitzen zehn Jugendliche in der Schule Griesstraße. Umut Cantay, 28, Finanzbeamter kurdischer Abstammung, leitet den Workshop mit Leila Maxhuni. Er hat einen Strohhut mit einem schwarz-rot-goldenen Band mitgebracht. Wer den aufhat, muss einen Begriff zu Deutschland sagen: Meinungsfreiheit, Wirtschaftsmacht, Berliner Mauer, Bayern München, Alster. Selen, 14, sagt: "Hartz IV." Danach diskutieren die Schüler. "Hartz IV ist was Schlechtes. Manche sind zu faul, um zu arbeiten", sagt Samet, 15. "Es ist aber auch was Gutes, weil es einem Sicherheit gibt", meint Pegah, 14. Später wird sie sagen, dass sie die Workshops gut findet, weil sie über solche Sachen nie nachdenken würde. "Und wir können sehr offen reden."

Als Nächstes werden die Schüler Umut Cantay an seinem Arbeitsplatz im Finanzamt besuchen, sich mit Leila Maxhuni an der Uni die juristische Fakultät anschauen, sich mit Bewerbungen beschäftigen und eine Rathausführung machen. Am wichtigsten aber ist der Kontakt mit den Kursleitern. "Die Schüler kommen, weil sie sich in uns wiedererkennen", sagt Cantay. Als Zehnjähriger ist er nach Hamburg gekommen. Seine Familie lebte anfangs auf einem Flüchtlingsschiff. "Ich hatte niemanden, der mir sagt, welche Möglichkeiten ich habe." Er hat es trotzdem geschafft. "Das will ich weitergeben."

Im zweiten Teil des Workshops reden die Schüler über ihre Stärken und Schwächen. Zögernd fängt Rojda, 14, an: "Ich bin zuverlässig." Hamdi, 14, findet, dass er sich zu wenig durchsetzen kann.

Dann werden sie mutiger - und ehrlicher. "Ich kann keine Kritik ab", sagt Artos, 15. Und Argjira gibt zu: "Ich denke zu oft an private Sachen, auch in der Schule." Als Onur, 14, von seiner Angst vor Referaten erzählt, gibt Leila ihm einen Rat aus ihrem eigenen Leben: "Denke nicht, dass schaffe ich nicht. Sondern sage dir, das will ich schaffen."

Das Konzept funktioniert. "Die Schüler entwickeln mehr Motivation und Ehrgeiz für schulische Leistungen", sagt die Leiterin der Schule Griesstraße, Antje Zingel, 57. Drei Durchläufe gab es an der Haupt- und Realschule mit 400 Schülern und einem Migrantenanteil von 70 Prozent schon. "Die Vorbilder sind wichtig für unsere Jugendlichen. Sie geben das Gefühl, dass sie es schaffen können, wenn sie sich aufmachen."

Es ist ein mühsamer Weg, denn oft wird schon schnell alle Erkenntnis wieder von der Wirklichkeit des Alltags verdrängt. "Es muss im Kopf klick machen", sagt Initiatorin Ercan, selbst ein Beispiel für eine erfolgreiche Migrantin. "Dass ich in zwei Kulturen zu Hause bin, ist auch ein großer Vorteil", sagt die angehende Juristin, die in die internationale Politik gehen möchte.

Für die Schüler ist das noch ganz weit weg. Ihre Visionen? Rojda guckt ratlos, Hamdi zuckt mit den Schultern. Selen sagt: "Ich möchte gern in einer Anwaltskanzlei arbeiten." Und Argjira? "Ich habe verstanden, dass man nicht gleich aufgeben darf, wenn man eine Niederlage erlebt hat."